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DOI: 10.1055/s-2006-956001
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Optimierung der Schwerverletztenversorgung durch bessere Vernetzung kompetenter Kliniken
Publication History
Publication Date:
13 November 2007 (online)
Die präklinische und klinische Schwerstverletztenversorgung unseres Landes genießt auf der einen Seite aufgrund des intensiven Engagements der deutschen Unfallchirurgie und aller beteiligten medizinischen Disziplinen sowie der Rettungsdienste national und international einen vorzüglichen Ruf.
Auf der anderen Seite wurde durch einzelne in der Öffentlichkeit intensiv diskutierte Fälle sowie verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen deutlich, dass die Qualität der Polytraumaversorgung in Deutschland sehr inhomogen ist. So geht beispielsweise aus den Daten des Statistischen Bundesamtes hervor, dass die Rate an tödlichen Verkehrsunfällen in den einzelnen Bundesländern stark variiert. Danach beträgt die Sterbensrate in Bezug auf die Verkehrsunfälle mit Personenschaden in Mecklenburg-Vorpommern 2,7 % gegenüber 1,1 % in Nordrhein-Westfalen. In Stadtstaaten wie Berlin beträgt sie nur 0,5 % (Statistisches Bundesamt 2003). Des Weiteren können anhand der Daten des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) deutliche Unterschiede in den Letalitätsraten nach schwerem Trauma in den teilnehmenden Krankenhäusern aufgezeigt werden.
Hauptsächlich sind zwei Ursachen für diese Qualitätsunterschiede verantwortlich: 1. geographische und infrastrukturelle Unterschiede zwischen den Bundesländern und Regionen sowie 2. differierende Behandlungskonzepte und interne Ausstattungen der einzelnen an der Polytraumaversorgung beteiligten Krankenhäuser.
Ad 1.) Die Versorgungsflächen pro Krankenhaus zeigen in den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede. So beträgt die Versorgungsfläche für ein Krankenhaus in Mecklenburg-Vorpommern 4634 km2 und in Nordrhein-Westfalen 541 km2. Vergleichbar hohe Unterschiede finden sich für die Versorgungsfläche pro Rettungshubschrauber und für die Strecke an überörtlichen Straßen pro Fläche des Bundeslandes.
Ad 2.) Bedingt durch unterschiedliche Versorgungsstufen variieren die Organisation sowie die personelle und strukturelle Ausstattung der an der Polytraumaversorgung beteiligten Krankenhäuser erheblich. In einer Umfrage an 51 Kliniken, die am Traumaregister der DGU teilnehmen, konnte aufgezeigt werden, dass 14 % der Krankenhäuser keine Möglichkeit der radiologischen Diagnostik und 23 % keine Ultraschalldiagnostik im Schockraum aufweisen.
Diese Unterschiede können bei der Behandlung Schwerverletzter zu bedeutenden Qualitätsunterschieden führen. Biewener et al. führten in der Region um Dresden eine Analyse zur Qualität der Schwerverletztenversorgung in Abhängigkeit von der Versorgungsstufe des definitiven Zielkrankenhauses durch. Hierbei zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Letalität nach schwerem Trauma (41% vs. 16 % bei gleicher Verletzungsschwere) für Patienten, die ausschließlich in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung behandelt wurden (Biewener 2004).
Aber auch in universitären Traumazentren lassen sich Abweichungen in der Behandlungsqualität mit Einfluss auf die Letalität nach schwerem Trauma nachweisen. Dies konnte sowohl im Rahmen interner Qualitätsmanagementsysteme als auch in einer externen Qualitätskontrolle nachgewiesen werden (Ruchholtz 2000).
Aufgrund der genannten Abweichungen in der Behandlungsqualität wurden aktuell durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie mit dem Weißbuch „Schwerverletztenversorgung“ Empfehlungen zur Struktur und Organisation von Einrichtungen zur Behandlung von Schwerverletzten in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht (zu beziehen über die Geschäftsstelle der DGU).
In Zukunft soll durch die Initiierung von lokalen Traumanetzwerk-Strukturen zwischen überregionalen und regionalen Traumazentren sowie Einrichtungen der unfallchirurgischen Basisversorgung sichergestellt werden, dass jeder schwerverletzte Patient innerhalb von ca. 30 Minuten vom Unfallort in den Schockraum eines geeigneten, d. h. kompetenten Krankenhauses transportiert werden kann.
Die wesentlichen Bestandteile eines solchen regionalen Traumanetzwerkes sind:
Definierte Kriterien zur Aufnahme eines Patienten vom Unfallort in ein Traumazentrum bzw. Einrichtung der unfallchirurgischen Basisversorgung Einführung einheitlicher personeller, struktureller und organisatorischer Voraussetzungen (z. B. Schockraumausstattung) Formulierung von standardisierten Behandlungsabläufen und Verlegungskriterien für die Frühphase der Schwerverletztenversorgung auf Basis der evidenzbasierten Leitlinien der DGU (z. B. S3-Leitlinie der DGU) Vereinheitlichung der ärztlichen Qualifizierung durch gemeinsame Ausbildungsprogramme (z. B. ATLS®; www.atls.de) Teilnahme an internen und externen qualitätssichernden Maßnahmen und Erfassung der aktuellen Versorgungszahlen und ‐abläufe auf Basis des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (www.traumaregister.de) Einrichtung von Telekommunikationssystemen, die es den teilnehmenden Kliniken untereinander ermöglichen sollen, sich in oder kurz nach der akuten Behandlungsphase hinsichtlich der weiteren Versorgung auszutauschen und zu besprechen.
Die Umsetzung von lokalen Traumanetzwerken ist längerfristig nur durch die intensive Zusammenarbeit aller beteiligten Fachrichtungen und Berufsgruppen in Abstimmung mit Entscheidungsträgern aus Krankenhausverwaltung, Kostenträgern und der Politik zu verwirklichen.
In der präklinischen Versorgung soll durch die Einbindung der lokalen Rettungsleitstellen sichergestellt werden, dass dem Notarzt und dem Rettungspersonal vor Ort die Möglichkeit gegeben wird, den Patienten schnellst möglich in die nahest gelegene, adäquat ausgestattete Klinik zu bringen.
Das gemeinsame Ziel ist es, entgegen der derzeitigen Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem eindeutige Anforderungen an Struktur, Organisation und Ausstattung für eine kompetente und nachhaltige Schwerverletztenversorgung auch außerhalb von Ballungszentren festzulegen, um damit eine einheitlich hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten.
Professor Steffen Ruchholtz, Essen
Literatur
- 1 Biewener A, Aschenbrenner U, Rammelt S, Grass R, Zwipp H. Impact of helicopter transport and hospital level on mortality of polytrauma patients. J Trauma. 2004; 56 94-98
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2 Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Luisenstr. 58/59, 10117 Berlin; E-Mail: dgunfallchirurgie@gmx.de.
- 3 Ruchholtz S. AG-Polytrauma . Das Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie als Grundlage des interklinischen Qualitätsmanagements in der Schwerverletztenversorgung. Unfallchirurg. 2000; 103 30-37
-
4 Statistisches Bundesamt Wiesbaden (2003), Straßenverkehrsunfälle, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.