Aktuelle Ernährungsmedizin 2006; 31 - P29
DOI: 10.1055/s-2006-954530

Psychotherapie der Adipositas nach verhaltenstherapeutischem Anti-Diät-Konzept

M Kollmann 1, I Kunz 1, T Gräbe 1, R Dörhöfer 1, E Krüger 1, K Bauernschmitt 1, C Müller 1, K Schultz 1
  • 1Psychosomatische Abteilung Fachklinik Allgäu, Pfronten

Einleitung und Ziel: Die Adipositas ist eine multifaktorielle Störung, die neben den Erbanlagen vor allem durch den Lebensstil bestimmt wird. Viele Menschen leiden unter ihrem hohen Gewicht und schaffen es trotz zahlreicher Anstrengungen nicht, langfristig ein gesundheitlich unbedenkliches Gewicht zu erreichen. Viele psychische Probleme spielen bei Adipösen eine Rolle (Abgrenzung, Einsetzen des Essens zur Besserung der Stimmungslage, Scham, Ängste), die einen Teufelskreis von Nahrungsaufnahme, Stimmungsbeeinflussung, Scham und negative langfristige Konsequenzen mit nachfolgender Besserung der Stimmung durch das Essen zur Folge haben. In unserer Klinik wurde eine verhaltenstherapeutische Gruppe zur Modifikation des Essverhaltens mit Unterstützung von Ernährungsberatung und Sporttherapie aber ohne diätetische Maßnahmen bzgl. ihrer langfristigen Wirkung nachuntersucht. Über diese Studie und ihren Ablauf wurden die Patienten von vorneherein informiert. Patienten und Methode: Eingeschlossen wurden alle Patienten der Gruppe (n=181) mit einem BMI >30kg/m2 sowie BMI 25–30 mit komplizierenden Erkrankungen. Es erfolgte eine Fragebogen gestützte Nachuntersuchung über 9 Monate (Fragebogen zum Essverhalten nach PUDEL und WESTERHOFER) zu 5 Messzeitpunkten. Ergebnis: Der Rücklauf der Fragebögen lag bei 68,1% (Range 47,5% –100%). Es zeigte sich eine hochsignifikante Gewichtsabnahme um 5,2kg/9 Monate. In den ersten 6 Wochen die Gewichtsabnahme bei 4,5kg, danach zwischen 0,5–1kg. In den Fragebögen zeigte sich zudem ein Zunahme der kognitiven Kontrolle von 9,5 auf 14 (von 21) Items, was über den Messzeitraum stabil blieb. Die Störbarkeit des Essverhaltens nahm von 8,8 auf 6 ab, die Wahrnehmung des Hungergefühls von 6 auf 4 ab. Alle Ergebnisse waren hochsignifikant

Schlussfolgerung: Mit einem verhaltenstherapeutischen Ansatz, der auch die psychischen Ursachen des Essverhaltens mitberücksichtigt, ist es möglich, das Essverhalten langfristig zu modifizieren: Es gelang den Patienten, die Störbarkeit des Essverhaltens zu reduzieren, über die gestiegene kognitive Kontrolle war es ihnen möglich, von einem ungezügelten zu einem kontrollierten Essverhalten zu gelangen. Das Hungergefühl und damit die Stimuli ständiger Nahrungsaufnahme nahmen ab. Der Zusammenhang zwischen der Gewichtsreduktion und den Veränderungen des Essverhaltens (auch in Abhängigkeit vom Lebensalter), das zugrunde liegende Denkmodell und das therapeutische Vorgehen werden dargestellt.