Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - P9_5
DOI: 10.1055/s-2006-954189

Umstellung von kurativer zu palliativer Therapie auf Intensivstationen: eine Umfrage unter Ärzten und Pflegekräften

R Jox 1, M Krebs 1, S Reiter-Theil 2, G Borasio 1
  • 1Interdisziplinäres Zentrum für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München
  • 2Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik, Universität Basel, Schweiz

Einleitung: Die Umstellung von kurativer auf palliative Therapie ist auf Intensivstationen besonders schwierig. Die Praxis dieses Phänomens und der damit einhergehenden Entscheidungsprobleme ist in Deutschland bisher wenig untersucht. Ziel dieser Studie ist es, die Perspektiven der intensivmedizinisch tätigen Ärzte und Pflegekräfte hierzu vergleichend zu ermitteln. Methoden: Unter den 268 Pflegekräften und 95 Ärzten aller Erwachsenen-Intensivstationen am Klinikum der Universität München wurde mittels eines anonymen, strukturierten Fragebogens eine Befragung durchgeführt. Resultate: Die Rücklaufquote betrug bei den Pflegekräften 56% und bei den Ärzten 51%. Im Median gaben die Ärzte an, einmal pro Woche mit der Frage der Umstellung kurativer auf palliative Therapie und damit auch mit der Begrenzung lebenserhaltender Therapien konfrontiert zu werden. Laut den übereinstimmenden Angaben von Ärzten und Pflegenden ging es dabei am häufigsten um die kardiopulmonale Reanimation, Dialyse und antibiotische Therapie, am seltensten um künstliche Ernährung oder Hydrierung. 35% der Ärzte und 48% der Pflegekräfte fühlten sich bei der Entscheidungsfindung unsicher. Ihre berufliche Ausbildung für diesen Entscheidungsprozess beurteilten 63% der Ärzte und 58% der Pflegekräfte als schlecht. Das Wissen um rechtlich relevante Fakten war bei beiden Professionen gering. Die am häufigsten beklagten Schwierigkeiten betrafen die rechtliche Unsicherheit, Kommunikationsprobleme und ethisch-moralische Zweifel. Die Pflegekräfte zeigten sich mit dem Entscheidungsprozess weniger zufrieden als die Ärzte (42 vs. 83%, p<0,001). Während Oberärzte die Entscheidung als kollegialen Teamprozess betrachteten, nahmen die Assistenzärzte und Pflegekräfte diese eher als rein oberärztliche Entscheidung wahr (p=0,001). Dokumentiert wurden die Entscheidungen laut den Ärzten in unterschiedlichen, zum Teil für Pflegekräfte unzugänglichen EDV-basierten Dokumentationssystemen. 37% der Pflegekräfte und 19% der Ärzte gaben an, dass überhaupt keine Dokumentation vorgenommen wurde. Schlussfolgerungen: Die Begrenzung lebenserhaltender Therapien ist auf deutschen Intensivstationen eine häufige Praxis. Die rechtliche und ethische Schulung des Personals sowie die Kommunikation und Dokumentation bedürfen dringender Verbesserung.