Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - P1_10
DOI: 10.1055/s-2006-954134

Die Weisheit des Rituals – eine Wiederentdeckung

B Kolwe-Schweda 1, I Rusch 1, H Lehmann 1
  • 1Palliativstation im Asklepios Westklinikum, Hamburg

Einleitung: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? In Grenzsituationen des Lebens wie Krankheit, Tod und Trauer brechen diese existenziellen Fragen auf. Die Antwort darauf – zu allen Zeiten und in allen Kulturen waren Rituale: Der Tod zerstört die Ordnung, im Ritual wird sie wiederhergestellt. Gemeinschaftsstiftung, Angstreduzierung und Lebensvergewisserung waren von je her die wesentlichen Funktionen ritueller Bewältigung. Rituale zur Würdigung des Verstorbenen und der Angehörigen gibt es auch auf der Palliativstation (z.B Entzünden eines Lichtes für den Verstorbenen, ein Gedenkbuch für die Angehörigen). Die Pflegekräfte verarbeiten Erfahrungen entweder individuell oder in der Teamsupervision. Trotzdem kommt es zu verdichteten Belastungssituationen, die eine archaische Ebene des Empfindens berühren: „Oft, wenn gerade ich Nachtdienst habe, stirbt jemand. Bringe ich den Tod mit?“ Methode: Das Ritual ist eine archaische Form von Sprache. Es gilt als „restringierter Code“, also als eine Kommunikationsform, die vorwiegend reflexiv und symbolisch verdichtet ist. Das Symbol als Kommunikationsmittel des Rituals verbindet entgegen gesetzte Phänomene (Leben – Tod, gut – böse). Gleichzeitig ist das Ritual handlungsorientiert. Die klare Handlungsabfolge (Ordnung) ist ein sicherer Rahmen für diffuse Gefühle (Chaos). Damit hat das Ritual ein hohes therapeutisches Potenzial. Es kann als Kommunikationsmöglichkeit genutzt werden zur Verarbeitung von Belastungen. In einem Versuchsprojekt wird im Team ein regelmäßig wiederholbares Ritual entwickelt, dass das Team stärken und individuell Entlastung schaffen soll. Resultat: Möglichkeiten unterschiedlicher Rituale können bei uns erfragt werden. Schlussfolgerung: Rituale haben sich eine uralte Weisheit bewahrt: Mit ihrer symbolischen Kommunikation öffnen sie den Raum für das, was sich in Sprache allein nicht erfassen lässt. Sie sind Sinn stiftend und Halt gebend und berühren damit ein tiefes Bedürfnis im Grenzbereich von Leben und Tod.