Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - V9_4
DOI: 10.1055/s-2006-954118

Konsens und Dissens zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

H Müller-Busch 1
  • 1Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin

In sterbenahen Situationen, bei denen medizinische Entscheidungen notwendig sind und eine Therapiebegrenzung oder Therapiezieländerung erwogen wird, geht es darum, im Spannungsfeld zwischen Wille und Wohl eines Menschen den richtigen Weg zu finden. Patientenverfügungen als antizipierte Willensbekundungen sind ein wichtiges Hilfsmittel, den Dialog mit den Beteiligten zu fördern und eine Orientierung für gute Entscheidungen über Behandlungsoptionen im Sinne des betroffenen Patienten zu erleichtern und seinen individuellen Werten entsprechend zu handeln. Bei der kontroversen Diskussion um eine rechtliche Regelung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten wird auch gefordert, diese als rechtswirksamen Handlungsauftrag anzuerkennen, um im Falle der Nichtentscheidungsfähigkeit Maßnahmen, die das Leben künstlich verlängern beziehungsweise das Sterben verhindern, zu vermeiden oder zu begrenzen. Auch wenn der überwiegende Teil der Bevölkerung sich nicht mit medizinischen Behandlungsoptionen in Grenzsituationen beschäftigt bzw. sich durch Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten nicht frühzeitig festlegen möchte, wird die Frage des Wertes und der Zulässigkeit lebensverlängernder Maßnahmen in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert und für den Einzelfall bewertet. Deswegen muss im Falle einer Entscheidungsunfähigkeit nach Möglichkeit ein Konsens über die Therapieorientierung gefunden werden, die auch unterschiedliche Positionen berücksichtigt. Obwohl in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahre 2004 die Bedingungen und Kriterien für eine Entscheidungsfindung in Grenzsituationen differenziert genannt werden und dabei die Willensorientierung für medizinisches Handeln hervorgehoben wird, ist der Umgang mit antizipierten Willensbekundungen in der Praxis mit rechtlichen und fachlichen Unsicherheiten verbunden, was nicht zuletzt auch durch höchstrichterliche Entscheidungen gefördert wurde. Die in den letzten Jahren von verschiedenen Kommissionen erarbeiteten Empfehlungen über eine rechtliche Regelung unterscheiden sich vor allem in der Frage der Wirksamkeit oder Verbindlichkeit einer Patientenverfügung zur Reichweite, insbesondere ob der Abbruch oder die Unterlassung von künstlich lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen auch in nicht sterbenahen Situationen z.B. lang andauernder Bewusstlosigkeit oder Demenz antizipierend bestimmt werden kann. Auch zur betreuungsrechtlichen Regelung von Stellvertreterentscheidungen bestehen unterschiedliche Positionen. Hinzu kommen Differenzen zu Form und Umsetzungsfragen für die Praxis. Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind Instrumente, aber sicher keine Patentmittel, Auch wenn sicherlich auch in Zukunft die Mehrheit der Bevölkerung sich mit der Frage des eigenen Sterbens nicht explizit auseinandersetzen möchte und auf eine angemessene ärztliche Behandlung vertraut, sollte dann, wenn ein Mensch – aus welchen Gründen auch immer – sich mit der Frage „Wie ich im Falle eine Nichteinwilligungsfähigkeit sterben oder behandelt werden möchte“ auseinandergesetzt hat – diese Auseinandersetzung und Willensbestimmung besonders und verbindlich beachtet werden.