Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - V9_1
DOI: 10.1055/s-2006-954115

Entscheidungshilfen in Grenzsituationen

K Wekamp 1
  • 1Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

Palliativmedizin ist primär kein gesonderter, gegenständlicher „Bereich“, auch keine klar abgrenzbare „Disziplin“, sondern eine Art „Verhalten“, das in bestimmten, aber schwer bestimmbaren Situationen angemesssen ist. Deshalb ist sie auch nicht im Sinne eines Gegenstandes identifizierbar. Zur Palliativmedizin muss man sich entscheiden – am stärksten dort, wo die andere Seite des Spektrums zuhause ist, die intensive Medizin. Vor jeglicher palliativmedizinischer Behandlung steht logisch wie zeitlich eine Entscheidung. Diese Entscheidung ist einer besonderen wissenschaftlichen und philosophischen Aufmerksamkeit wert, die ihr im deutschsprachigen Diskurs bislang nicht gegeben wird. Jedes Lehr- und Handbuch für „Palliative Care“ müsste mit einem Kapitel zur palliativen Entscheidung und Indikation beginnen. Auch „Grenzsituationen“ (K. Jaspers) sind nicht einfach objektiv vorfindbar, sondern sie müssen identifiziert werden. Sie sind nicht objektiv bestimmbar wie ein Gegenstand, sondern ergeben sich aus Beurteilungen, die vom Zustand und den Vorstellungen des Patienten einerseits und von Behandlungsmöglichkeiten und Ressourcen andererseits abhängig sind und oft erst diskursiv ermittelt werden können. Entscheidungshilfen sollen dazu dienen, Grenzsituationen zu identifizieren, Indikationen für Palliation abzusichern um schließlich eine „gute“ Wahl zu treffen für am besten auf Situation und Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Maßnahmen. Sie können auf verschiedenen Ebenen ansetzen: Als Qualifikation für Indikationen und Entscheidungen können sie von jenen, die die Behandlungsprozesse unmittelbar steuern, gelernt werden. Dazu müssen geeignete Begriffe (Kategorien) und Denkformen (Paradigmata) bereitgestellt werden, und zwar empirisch/analytischer und moralisch/ethischer Herkunft. Dies ist eine Aufgabe der Wissenschaft und der Ethik. Hinzu kommen die kritische Selbstreflexion als eine Qualifikation der Persönlichkeit, die durch psychotherapeutische und wiederum philosophische Mühe entwickelt werden kann sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zur Abstimmung der Entscheidung in Teams. Schließlich ist die Ebene der Institution/Organisation und damit des Managements von zunehmender Bedeutung. Prozesse der Entscheidungsfindung und -begründung lassen sich in gewissen Grenzen institutionell abstützen bzw. bahnen, indem Entscheidungen zum bewussten Thema gemacht werden. In diesem Kontext hat die Organisationsethik (Organizational Ethics) ihren Ort. Palliativmedizin kann Teil einer „Unternehmensmarke“ und eines „Unternehmensportfolios“ sein. Dann realisiert sie eine „qualitätsgesicherte Kundenorientierung“.