Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - V2_11
DOI: 10.1055/s-2006-954078

Verbindlichkeit einer Patientenverfügung nach Ansicht der Verfügenden selbst

R Jox 1, M Krebs 1, S Roller 2, K Heßdörfer 3, J Bickhardt 4, G Borasio 1
  • 1Interdisziplinäres Zentrum für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München
  • 2Palliativstation, Krankenhaus Barmherzige Brüder, München
  • 3Christophorus Hospiz Verein, München
  • 4Bayerischer Hospizverband, Amberg

Einleitung: Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung (PV) wird kontrovers diskutiert. Bisher wurde nicht untersucht, wie die Verfügenden selbst dazu stehen. Methoden: Patienten palliativmedizinischer Einrichtungen und Besucher öffentlicher Beratungsstellen, die eine PV erstellt hatten, wurden gebeten, einen anonymen Kurzfragebogen auszufüllen. Darin wurde unter anderem gefragt, welchen Grad der Verbindlichkeit sie sich für ihre PV selbst wünschen. Die Verbindlichkeit wurde als „absolut“ definiert, wenn der Bevollmächtigte oder Betreuer die PV durchsetzen muss, und „relativ“, wenn dieser davon abweichen kann, sofern er zur Überzeugung gelangt, der Betroffene würde in der aktuellen Situation seine Meinung ändern. Die Resultate entstammen einer Zwischenauswertung. Resultate: Von den 351 bisher befragten Personen litten 65 an einer terminalen Erkrankung, 277 nicht, weitere neun machten hierzu keine Angabe. 70% aller Befragten sprachen sich für eine absolute Verbindlichkeit ihrer PV aus, 25% für eine relative Verbindlichkeit und 5% für einen bloßen Indiziencharakter. Einem statistischen Trend zufolge bevorzugten die terminal Erkrankten noch häufiger die absolute Verbindlichkeit als die nicht terminal Erkrankten (77 vs. 68%). Unterschiede nach Alter oder Geschlecht gab es nicht. Die meisten derjenigen, die zu ihrer PV noch eine Vorsorgevollmacht ausgestellt haben, plädierten gleichwohl für eine absolute Verbindlichkeit der PV, wonach der Bevollmächtigte die PV durchsetzen soll (72%). Für den Konfliktfall, dass sich die Beteiligten nicht über den vorausverfügten oder mutmaßlichen Willen einigen können, befürworteten nur 0,9% eine Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht, während 85% die Entscheidungsbefugnis dem Bevollmächtigten/Betreuer anvertrauten und 8% dem Arzt. Die Gruppe derer, welche die Entscheidungsbefugnis dem Arzt anvertrauten, bestand aus signifikant älteren Personen (Median 67 vs. 61 Jahre). Schlussfolgerungen: Die deutliche Mehrheit derer, die eine PV ausstellen, verbindet damit den Anspruch absoluter Verbindlichkeit, die auch Bevollmächtigten und Betreuern keinen Ermessensspielraum lässt. Um aber die stattliche Minderheit von 30% zu respektieren, die einen schwächeren Grad der Verbindlichkeit wünscht, wäre zu diskutieren, ob der Verfügende zwischen verschiedenen Verbindlichkeitsgraden wählen können sollte. Bei Konfliktfällen vertrauen die Verfügenden am ehesten den Bevollmächtigten bzw. Betreuern, am wenigsten den Vormundschaftsgerichten.