Hintergrund: Der Begriff „prospektives Gedächtnis“ beschreibt die Fähigkeit, sich zur richtigen
Zeit an zuvor gefasste Handlungsabsichten zu erinnern. Grundlegende Fähigkeiten wie
z.B. das Einhalten von Terminen oder die Einnahme von Medikamenten zu bestimmten Tageszeiten
sind von prospektiven Gedächtnisleistungen abhängig. Beeinträchtigungen des prospektiven
Gedächtnisses gefährden die Selbständigkeit im Alltag. Obgleich Gedächtnisbeeinträchtigungen
nach Schädel-Hirn-Trauma (SHT) gut dokumentiert sind, ist der Bereich des prospektiven
Gedächtnisses hierbei noch vergleichsweise wenig erforscht. Auch im klinischen Alltag
gehört die Untersuchung des prospektiven Gedächtnisses nicht überall zur Routinediagnostik.
Methode: 30 Patienten mit einem SHT vom Ausmaß eines Kontusionssyndroms (mittleres Alter=34,93,
SD=10,17) und 30 gesunde Kontrollpersonen (mittleres Alter=35,43, SD=11,83) wurden
mit einer neuropsychologischen Testbatterie, die 8 Aufgaben zum prospektiven Gedächtnis
enthielt, untersucht. Hierbei sollten die Probanden zu bestimmten Zeitpunkten oder
beim Eintreten bestimmter Ereignisse von alleine daran denken, eine vorher definierte
Reaktion zu zeigen. Nachdem die Instruktionen zu den jeweiligen prospektiven Gedächtnisaufgaben
gegeben worden waren, sollten die Probanden zusätzlich einschätzen, wie wahrscheinlich
es ist, dass sie zum richtigen Zeitpunkt an die Ausführung der Reaktion denken.
Ergebnisse: Die Patienten lösten weniger prospektive Gedächtnisaufgaben als die Kontrollpersonen
(63,71% vs. 79,17% richtig gelöste Aufgaben; p<.01). Darüber hinaus konnten die Patienten
schlechter abschätzen, ob sie eine Aufgabe bewältigen werden oder nicht (57.52% vs.
70,26% korrekte Einschätzungen; p<.05).
Diskussion: Die vorliegende Studie zeigt, dass SHT-Patienten im Vergleich zu gesunden Personen
prospektive Gedächtnisdefizite haben und dass sie sich hinsichtlich ihrer prospektiven
Gedächtnisfähigkeiten unrealistisch einschätzen. Aufgrund der hohen Alltagsrelevanz
des prospektiven Gedächtnisses lässt sich aus den vorliegenden Ergebnissen die Forderung
nach weiteren Studien und nach einer routinemäßigen Untersuchung der prospektiven
Gedächtnisfähigkeiten im klinischen Alltag ableiten. Insbesondere aufgrund der fehlerhaften
Selbsteinschätzung ist die diagnostische Abklärung wichtig, da die Patienten vermutlich
weder in der Anamnese über prospektive Gedächtnisdefizite berichten werden, noch von
alleine Hilfsmittel (z.B. Terminkalender) benutzen werden.