Gesundheitswesen 2006; 68 - A112
DOI: 10.1055/s-2006-948668

Die Bestimmung des Charakters genetischer Informationen als Herausforderung für das „Public Health Genomics European Network (PHGEN)“

P Schröder 1, A Brand 2
  • 1Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW (lögd), Bielefeld
  • 2Deutsches Zentrum für Public Health Genomics (DZPHG), Bielefeld

Hintergrund: Das Wissen um genetische Gesundheitsfaktoren bringt neue Perspektiven für Prävention und Gesundheitsversorgung. Wissenschaftler und Entscheidungsträger müssen diskutieren, welche sich dadurch ergebenen Handlungsoptionen effektiv und verantwortlich umsetzbar sind. Um diese Fragen zu diskutieren, fördert die EU das „Public Health Genomics European Network (PHGEN)“ (1/2006–12/2008). Für Public Health Genomics ist es grundlegend, den Charakter genetischer Informationen – also gesundheitsrelevanten Wissens, das durch Gentests erworben wird – zu bestimmen, um über Regulierungs- und Einsatzmöglichkeiten genetischer Informationen entscheiden zu können. Ziel: Die Frage muss beantwortet werden, ob genetische Informationen exzeptionellen Charakter haben. Methoden: Auswertung aktueller Literatur zu Fragen des genetischen Exzeptionalismus. Philosophische Analyse sowie ethische Abwägung dieser Argumente. Ergebnisse: Argumente für einen genetischen Exzeptionalismus lassen sich in folgende Kategorien fassen: a) Sorge um die familiäre Aussagekraft, b) Identifikationspotenzial von Personen, c) Sorge um Diskriminierungs- und Stigmatisierungspotenzial, d) einfache Zugänglichkeit von menschlichen Zellen und Speicherungsfähigkeit, e) Prognosemöglichkeit. Diskussion: Keine dieser Kategorien ist allein bei genetischen Informationen zutreffend. Auch konventionell gewonnene medizinische Informationen lassen sich mitunter diesen Kategorien zuordnen. Genetische Informationen sind nicht per se wesentlich anders als „herkömmliche“ medizinische Informationen einzuschätzen, d.h. genetische Informationen sind eher als einer unter vielen Biomarkern zu betrachten. Schlussfolgerungen: Wer dennoch genetische Informationen als exzeptionell verstehen will, der befördert ein reduktionistisches und deterministisches Verständnis von genetischer Information in Fachwelt und Öffentlichkeit. Dabei kann man genetische Informationen „entmystifizieren“ und ihnen einen zentralen Stellenwert für zukünftige Präventions- und Versorgungsansätze im Gesundheitswesen zusprechen.