Gesundheitswesen 2006; 68 - A39
DOI: 10.1055/s-2006-948595

Versorgung der Osteoporose in deutschen Orthopädenpraxen – Quantifizierung des Arzneimittelbedarfs bei leitlinienkonformer Therapie

A Freytag 1, H Gothe 1, B Häussler 1
  • 1IGES – Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin, Deutschland

Hintergrund: Bei Prävention und Therapie der Osteoporose lassen sich bedeutende Verbesserungen durch adäquate medikamentöse Behandlung erreichen. Es wird jedoch vermutet, dass niedergelassene Ärzte, insbesondere Orthopäden, durch das Budgetierungsinstrument der Arzneimittel-Richtgrößen darin eingeschränkt werden, leitlinienkonform zu verordnen. Diese Situation könnte sich durch die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben (AVWG) zusätzlich verschärfen. Ziel: Ermittlung der Anzahl an Osteoporosepatient(inn)en, die im Mittel pro Jahr in orthopädischen Praxen behandelt werden („Praxisprävalenz“); Bestimmung des Arzneimittelbedarfs in Abhängigkeit von den verschiedenen Formen der Osteoporose; Quantifizierung des Arzneimittelbedarfs bei leitlinienkonformer pharmakotherapeutischer Versorgung. Methoden: 1. Algorithmisierung der Osteoporose-Leitlinien des Dachverbands der Fachärzte für Orthopädie (DVO 2003). 2. Entwicklung eines Dokumentationsinstruments, anhand dessen die teilnehmenden Ärzte ihre Patientenakten nach Osteoporosepatienten durchsuchen sollten. Die Gesamtzahl der Patienten des II. Quartals 2004 war anzugeben, im Zuge einer aggregierten Betrachtung war die Gruppe der Osteoporosepatienten anhand behandlungsrelevanter Merkmale zu klassifizieren. 3. Diese Prozedur ermöglichte die Zuordnung des leitlinienkongruenten Therapiebedarfs je Patientengruppe. Ergebnisse: 123 auf Anfrage respondierende Orthopädenpraxen nahmen an der Befragung teil; 90 von diesen konnten in die Studie eingeschlossen werden. Die befragten Praxen dokumentierten insgesamt n=17,171 Osteoporosepatienten. Im adjustierten Jahresmittel wurden je Praxis 185 Osteoporosepatienten behandelt. Für 161 von diesen (87%) bestand ein Bedarf an antiosteoporotischer medikamentöser Behandlung (Voll- bzw. Basistherapie). In 111 von 161 Fällen wäre der ermittelte Therapiebedarf erstattungsfähig durch die GKV und würde 17,27 EUR (13,79 EUR) je quartalsbezogenem „KVdR-Schein“ (Krankenversicherung der Rentner) betragen. Die Arzneimittel-Richtgrößen des Jahres 2005 rangierten zwischen 13,32 EUR (KV Rheinland-Pfalz: Koblenz) und 29,72 EUR (KV Sachsen-Anhalt). Die mittlere Richtgröße (gewichtet nach Anzahl an Orthopäden je KV) würde durch den Bedarf an Basis- und Volltherapien zu 95% (76%) absorbiert werden. Diskussion: Unseres Wissens handelt es sich um die erste Studie, die den antiosteoporotischen Arzneimittelbedarf im Rahmen der ambulanten Versorgung von Osteoporosepatienten durch Orthopädenpraxen untersucht. Quantifiziert wird der tatsächliche Bedarf auf Basis einer Bottom-up-Kalkulation unter Real-Life-Bedingungen. Die Ergebnisse legen nahe, dass durch die antiosteoporotische Arzneimitteltherapie ein beträchtlicher Teil des Arzneimittelbudgets der Orthopäden verbraucht wird. Dieses Ergebnis behält auch dann seine Gültigkeit, wenn die Anzahl der Osteoporosepatienten je Praxis von 185 auf 148 (untere Grenze des 95-%-Konfidenzintervalls) reduziert wird, was einer Verringerung der Praxisprävalenz der Osteoporose von 15,4% auf 12,3% entspricht. Schlussfolgerungen: Die empirischen Ergebnisse sollen dazu dienen, die gesundheitspolitische Diskussion darüber zu versachlichen, wie eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie bei Osteoporose in Zukunft erreicht bzw. finanziert werden kann. Conflict of Interest: Die Studie wurde finanziert durch die Firma MSD – Merck Sharp & Dohme GmbH, München-Haar.