Pneumologie 2006; 60 - A3
DOI: 10.1055/s-2006-948141

Update systemische Aerosol Therapie: Heparin und andere Optionen

G Scheuch 1
  • 1Activaero GmbH, Gemünden

Erst kürzlich haben die Expertengremien von FDA und EMEA die Zulassung von inhalativem Insulin beschlossen. Mehr als 10 Jahre intensiver Forschung des Firmenverbundes aus NEKTAR (ehemals INHALE), Pfizer und Sanofi-Aventis scheint damit von Erfolg gekrönt. Immer wieder hatten die Zulassungsbehörden neue und längere Sicherheitsstudien verlangt. Insgesamt in über 50 klinischen Zulassungsstudien wurde schließlich demonstriert, dass die Wirkung des inhalierbaren Insulin vergleichbar der subkutanen Gabe ist. Insbesondere die Lungenfunktion wird auch nach mehreren Jahren dauernder Therapie nicht eingeschränkt.

Abb. 1: Änderung der Lungenfunktion bei 304 Diabetes Patienten, die entweder eine inhalative Therapie (INH) oder eine andere Therapie(OA) durchführten.

Damit ist ein ganz bedeutender Schritt zu einer systemischen Therapie mit Aerosolen gemacht. Wenn Insulin als inhalative Dauertherapie sicher erscheint, dann werden es andere Anwendungsmöglichkeiten, bei denen vielleicht nur kurzzeitig Wirkstoffe ins Blut gebracht werden sollen, einfacher zugelassen.

Tab. 1 gibt eine Übersicht zur systemischen Behandlung mittels Aerosolinhalation. Die Tabelle ist nicht umfassend, zeigt jedoch die Vielfalt der Substanzen, die durch pulmonale Instillation oder Aerosolinhalation experimentell oder klinisch verabreicht wurden [Sickmeier R, Atemw-Lungenkrkh 31:391,2005].

1=Näherungswerte: Angaben z.T. für nichtglykosylierte Monomere von Peptiden und Proteinen.
2=Phosphodiesteraseinhibitoren.
3=Proteine mit Arginin-Glycin-Aspartat-Sequenz.

Substanzgruppe

Substanz

Molekulargewicht 1 (Da)

Indikation

Ergotamine

Ergotamintartrat

1300

Migräne, vaskulärer Kopfschmerz, orthostatische Hypotonie

Dihydroergotaminmesilat

700

Heparin

unfraktioniertes Heparin

Mittleres Mol. gew.: 15000

Prävention tiefer Beinvenenthrombosen, Myokardinfarkt, Migräne

fraktioniertes Heparin

Unteres Mol. gew.:
4000–6000

Prävention tiefer Beinvenenthrombosen, Myokardinfarkt

Hormone

Calcitonin

4500

Osteoporese, M. Paget

(Proteohormone)

Cetrorelix

1430

Gonadorelin-Rezeptorantagonist, Fertilitätssteigerung [64]

einschließlich

Detirelix

1500

Gonadorelin-Rezeptorantagonist, Fertilitätssteigerung

deren Analoga

Epoetin-α

14700

Anämie [98]

Epoetin-β, -γ, -δ, -ε,-ω

18200

Anämie [98]

Follikelstimulierendes Hormon (FSH)

36000

Hormonersatztherapie

Glukagon

3600

Hormonersatztherapie

Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH)

24000– 30000

Hypothyreose

Insulin

6000

Diabetes mellitus

Leuprolide

1200

Endometriose, Pubertas praecox, Prostatakarzinom

Prolaktin

23000

Hormonersatztherapie [85]

Releasing Hormone (diverse)

Verschiedene Erkrankungen

rhG-CSF

18800

Chronische Granulozytopenie, AIDS

PEGyliertes rhG-CSF

24000– 36000

Chronische Granulozytopenie, AIDS

GM-CSF

14600

Granulozytopenie, Infektion, Tumortherapie

Oxytocin

1000

Hormonersatz

Parathyroidhormon 1–34 (PTH)

4300

Osteoporose, M. Paget

Parathyroidhormon 1–84 (PTH)

9400

Hormonersatztherapie

Vasopressinanalogon (dDAVP)

1100

Enuresis

Wachstumshormon (Somatotropin)

22100

Hypophysärer Kleinwuchs

Hormone (andere) und

Adrenalin (Epinephrin)

180

Anaphylaktische Reaktion

Neurotransmitter

Adrogolid

440

Parkinsontherapie [73]

Nikotin

160

Raucherentwöhnung, Nikotinentzug

Östrogene (diverse)

270–290

Hormonersatztherapie, retardierte Applikation

Testosteron

290

Hormonersatztherapie [22]

Irnmunsuppressiva bzw.

Cyclosporin A

1200

Transplantatabstoßung (insbesondere Lunge)

Immunmodulatoren

α-Interferone

19000– 22000

Hepatitis, Tumortherapie

β-lnterferon

19000– 22000

Multiple Sklerose, Tumortherapie

γ-lnterferon

16000– 25000

Tumortherapie (experimentell)

Consensus Interferon
(rCon-IFN)

19600

Hepatitis C

Liposomen

Cyclosporin A

1200

Transplantatabstoßung (insbesondere Lunge)

Fentanyl

340

Schmerztherapie

lnterleukin-2

15400

Tumortherapie (pulmonale Metastasen) [37, 38, 44, 90]

NO-Donator en

Nitroglyzerin

230

Primäre pulmonale Hypertonie

Nitroprussidnatrium

300

Primäre pulmonale Hypertonie

Opiate

Fentanyl

340

Schmerztherapie

Morphin (Morphinhydrochlorid bzw. -sulfat)

380 bzw. 760

Dyspnoe, Schmerztherapie

PDE2-lnhibitoren

Dipyridamol

500

Primäre pulmonale Hypertonie [88]

Pentoxyphylin

280

Primäre pulmonale Hypertonie [88]

Sildenafil

470

Primäre pulmonale Hypertonie [50]

Tolafentrine

510

Primäre pulmonale Hypertonie [88]

Zaprinast

270

Primäre pulmonale Hypertonie [49]

Peptide/Proteine

Bactericidal permeability-
increasing protein (BPI)

55000

gramnegative Infektionen (der Atemwege)

Fab-Fragmente

50000– 100000

Impfung

Faktor IX

57000

Hämophilie B [31]

Hirudin

7000

Antikoagulans

Renininhibitorische Peptide

1000

Hypertonie

Polyaminosäuren

5000–20000

Experimentell

Protein C

60000

Thrombophilie [31]

RGD-Peptide3

500–1000

Anti-Adhäsionsmoleküle

Prostaglandine

Iloprost

360

Primäre pulmonale Hypertonie [74, 88]

Prostaglandine e1 und I2

360

Primäre pulmonale Hypertonie

Tranquilizer

Midazolam

330

Sedierung

Was ist entscheidend, um eine Inhalationstherapie mit systemischen Wirkstoffen erfolgreich durchzuführen? Aus der Sicht eines Biophysikers sind es die folgenden Punkte:

  • Der Wirkstoff muss in die Lungenperipherie (Alveolarbereich gelangen).

    • Partikelgröße 2–4µm

    • Inhalationsmanöver des Patienten muss langsam und tief sein.

  • Die Dosierung muss so konstant sein, wie bei einer subkutanen Gabe.

  • Der Patient muss das Inhalationssystem einfach bedienen können.

Am Beispiel des inhalativen niedermolekularen Heparins Certoparin soll gezeigt werden, dass über die Inhalation auch andere Vorteile als nur die schmerzfreie Anwendung gegenüber der subkutanen Gabe erreicht werden.

In einer klinischen Studie mit 10 gesunden Probanden wurde die Inhalation mit einer subkutanen Gabe verglichen.

Es wurde mit dem Inhalationssystem AKITA inhaliert, das eine gleichmässige Dosierung des Heparin in der Lungenperipherie ermöglicht. In der Abb. 2 kann man erkennen, dass die Dauer der Wirkung bei der Inhalation deutlich länger anhält. Die maximale Faktor Xa Aktivität im Blut war nach 3000 IU Einheiten des subkutan applizierten Certoparins genauso hoch wie bei der Inhalation von 9000 IU. Allerdings hält die Wirkung bei der Inhalation viel länger an. Die Bioverfügbarkeit nach Inhalation lag bei etwa 70–85%. Die Variabilität ist bei Inhalation sogar geringer als nach subkutaner Gabe, siehe Tab. 1.

Abb. 2: Blutgerinnungsfaktor nach einer inhalativen Gabe von 9000 IU niedermol. Heparins (inhal) im Vergleich zu einer subkutanen Gabe von 3000 IU (s.c.).

Tab. 2: Anti-Faktor-Xa-Aktivität im Plasma nach Applikation von LMW-Heparin bei 10 Probanden.

Dosis

AUC
Mittelwert±Stdabw.
[U
×h/ml]

interindividueller Variationskoeffizient [%]

Signifikanz p

3000s.c.

5,70±1,58

28

––––-

9000 inhal.

9,43±1,31

13

0,0007