psychoneuro 2006; 32(7/08): 348
DOI: 10.1055/s-2006-948119
Im Gespräch

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Neue Ziele in der Schizophrenietherapie - Patientenrelevante Outcomeparameter für eine zeitgemäße Bewertung

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Publication Date:
28 August 2006 (online)

 

Georg Juckel

Untersuchungen zeigen, dass schizophrene Patienten von ihrer Behandlung mehr als nur eine Linderung der Symptomatik erwarten. Zu den weiteren Faktoren, die eine Rolle spielen, und mit welchen Messinstrumenten solche patientenorientierten Kriterien für eine Bewertung des Therapieerfolgs in der Praxis valide erfasst werden können, äußert sich Herr Prof. Georg Juckel, Bochum.

Um die Wirksamkeit von Antipsychotika zu beurteilen, wird in der Regel der Positive And Negative Syndrome Scale (PANSS)-Score herangezogen. Wird dieses Messinstrument den heutigen Ansprüchen der Patienten an eine effektive Therapie noch gerecht?

Juckel: Im Wesentlichen kommen Patienten aufgrund der Positiv-Symptomatik zu uns ins Krankenhaus, d.h., sie sind psychotisch exazerbiert und suchen Hilfe. Hier bildet die PANSS den Rückgang solcher akuten psychotischen Symptome recht gut ab und ist hierfür mittlerweile der Standard. Die Beurteilung der Negativ-Symptomatik ist dagegen erst im Langzeitverlauf wichtig: Um bestimmte Symptome wie Anhedonie oder Apathie abzubilden, hat sich hierfür - neben anderen vergleichbaren Skalen - die PANSS auch recht gut bewährt. Untersuchungen wie die Harris-Online-Befragung zeigen jedoch, dass für Patienten mit Schizophrenie Depressionen ein ganz großes Problem darstellen. Das zweite große Problem sind kognitive Störungen, weil dadurch vor allem Vorgänge des alltäglichen Lebens betroffen sind wie Freunde haben, Partnerschaft eingehen sowie letztendlich die berufliche Laufbahn. Die Grundlage für eine Besserung in diesen Bereichen ist eine gewisse psychopathologische Symptomfreiheit. Allerdings wollen wir mehr als nur eine "Remission" und auch die Patienten wollen noch mehr erreichen, was die Therapieziele betrifft.

Welche weiteren Faktoren sollten Ihrer Meinung nach stattdessen bzw. zusätzlich zur Wirksamkeitsbeurteilung berücksichtigt werden?

Juckel: Depression und Kognition wären wie bereits erwähnt die beiden größten Bereiche, die sich herauskristallisiert haben. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch - was bei Rehabilitationsansätzen immer wieder betont wird - die "Teilhabe", d.h., unsere Patienten sollen und wollen am Lebensalltag, der in der Regel das Berufliche, aber auch das Familiäre und Persönliche angeht, weitgehend uneingeschränkt und ohne Hindernisse oder Stigmatisierung teilhaben. Lebensqualität und Funktionalität spielen also hier eine wichtige Rolle.

Gibt es denn auch Skalen, die weitere Faktoren ausreichend valide erfassen können?

Juckel: Es sind eine Reihe von Skalen entwickelt worden. Es gibt aber wenig Konsens und auch wenig Evidenz für die einzelnen Skalen. Der riesige Bereich der Lebensqualität, der nicht so konkret erfasst und nicht so valide definiert werden kann, ist ohnehin für den einzelnen Mediziner kaum übersehbar. Die Validität dieser Skalen wird aber immer wieder überprüft und auch kritisch diskutiert. Im Bereich der beruflichen Rehabilitation gibt es wenig Skalen und damit im Grund auch wenig Verständigung darüber. Im Bereich des "Functionings", also des psychosozialen Funktionsniveaus, gibt es einige sehr lange und komplizierte Skalen. Beispiel für eine Functioning-Skala ist die Global Assessment of Functioning (GAF)-Skala, die international quasi als fünfte Achse beim DSM-IV-System die gebräuchlichste ist, um relativ schnell und einfach die berufliche und private Aktivität des Patienten einschätzen zu können. Nachteil ist jedoch, dass eine große Verquickung mit psychopathologischen Phänomenen der Primärerkrankung, z.B. der Schizophrenie, besteht. Aber auch bestimmte persönlichkeitsabhängige Variablen beeinflussen die Messung. Das ist natürlich ein Nachteil, wenn man präzise das psychosoziale Funktionsniveau erfassen will. Demgegenüber besitzt die (Personal and Social Performance-(PSP)-Skala große Vorteile: Erstens gibt es keine Vermischung mit psychologischen Symptomen. Zweitens existiert eine genaue standardisierte und operationalisierte Vorgehensweise hinsichtlich der metrischen Erfassung der Symptome innerhalb von vier definierten Bereichen und anschließender Zusammenfassung in Form eines Summenscores, so dass man das Funktionsniveau genau einschätzen kann.

Welches Messinstrument ist Ihrer Meinung nach am besten geeignet, über die Symptomkontrolle hinaus weitere patientenrelevante Kriterien zu erfassen und warum?

Juckel: Es ist immer davon abhängig, was man messen will. Für die Fragen der Lebensqualität haben sich zwei Skalen in den Studien herauskristallisiert. Da ist auf der einen Seite das "Subjective well-being" von Naber. Dann gibt es von der WHO eine Kurzskala zur Lebensqualität, die Short Version of the World Health Organization Quality of Life Instrument (WHOQOL-Bref). Hinsichtlich des psychosozialen Funktionsniveaus hat sich die Social and Occupational Functioning Assessment Scale (SOFAS) ein Stück weit durchgesetzt. Deren Vorteil ist, dass die Bewertung relativ frei von psychopathologischen Symptomen ist. Der Nachteil besteht darin, dass die metrische Erfassung nicht klar standardisiert ist. Durch die PSP-Skala ist dieses Manko verbessert worden: Diese stellt daher momentan die neueste und methodisch beste Entwicklung zur Bestimmung des psychosozialen Funktionsniveaus dar.

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