Aktuelle Urol 2006; 37 - V82
DOI: 10.1055/s-2006-947471

Therapieoptimierung bei Kindern und Jugendlichen mit ausgeprägter neurogener Blasenüberaktivität

O Dilk 1, S Siemer 1, H Kemmer 1, U Zwergel 1, M Stöckle 1
  • 1Universitätsklinik d. Saarlandes Urologie, Homburg (Saar)

Ziele: Kinder und Jugendliche mit ausgeprägter neurogener Blasenüberaktivität bedürfen einer engmaschigen Betreuung mit ständiger Therapie-Optimierung. Reicht die Gabe von Anticholinergika und der intermittierende Einmalkatheterismus nicht aus, müssen interventionelle oder gar chirurgische Maßnahmen durchgeführt werden. Ziel dieser Untersuchung war es, das diagnostische und therapeutische Regime sowie dessen Erfolg bei jungen Patienten mit schwerer neurogener Blase zu analysieren.

Methoden: Von 01/2004 bis 12/2005 wurden 72 Kinder und Jugendliche (32 Mädchen, 40 Jungen; 7 Monate –18 Jahre, Durchschnittsalter von 8 Jahren) mit ausgeprägter neurogener Blase, meist wegen Meninogmyelocele und Spina bifida, regelmäßig in einer fächerübergreifenden Sprechstunde (urologisch, neuropädiatrisch, orthopädisch, neurochirurgisch) betreut.

Aus urologischer Sicht entscheidend sind, neben sonographischen Kontrollen, die Video-Urodynamik und Nierenfunktionsprüfungen (bei auffälliger Umfelddiagnostik).

Ergebnisse: Bei 60 Patienten war sowohl subjektiv als auch objektiv die anticholinerge Therapie ausreichend, bei den meisten (n=48) kombiniert mit intermittierendem Einmalkatheterismus. Entsprechend der urodynamischen Kontrollen fand man im Rahmen der Erstuntersuchung bei 52 Patienten eine Blasenkapazität unterhalb des altersadaptiert bestimmten Normbereiches. Die durchschnittliche Compliance lag bei 14,3ml/cm H20, der Leak point pressure lag bei n=34 oberhalb des pathologischen Wertes von 40cm H20. Bei 12 Patienten waren wegen fortschreitenden Umbaus der Blase und Harnrefluxen oder Nierenfunktionseinschränkung interventionelle Maßnahmen erforderlich. Zystoskopisch wurde bei diesen zunächst gewichtsadaptiert Botulinumtoxin-A (Botox®, 85–200 U an ca. 20–30 Stellen) in den Detrusormuskel injiziert. Wegen Zunahme der Nierenfunktionseinschränkungen und ausgeprägten Refluxen mussten im weiteren Verlauf bei 5 der 12 Kinder offen-chirurgische Harnab- bzw. Umleitungen durchgeführt werden (Ileumsupport n=2, Ileum-conduit n=1, Blasenaugmentation n=2). So konnte bei allen die Nierenfunktion bis dato erhalten werden.

Schlussfolgerungen:

Durch frühzeitige Einleitung einer anticholinergen Therapie, in der Regel kombiniert mit intermittierendem Einmalkatheterismus sind die meisten der vorgestellten jungen Patienten mit schwerer neurogener Blasenüberaktivität ausreichend zu behandeln. Lediglich 17% bedurften weiterer Maßnahmen. Um rechtzeitig Folgeschäden der Erkrankung zu erkennen und gezielt zu behandeln, ist eine interdisziplinäre Versorgung erforderlich. Aus urologischer Sicht ist dies entscheidend, um die Nierenfunktion durch entsprechende Therapieanpassung zu erhalten.