Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210(4): 119-120
DOI: 10.1055/s-2006-947214
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kontinuierliche Messung des fetalen Wohlbefindens sub partu - der Abschied von der fetalen Pulsoxymetrie?

Continuous Monitoring of Fetal Well Being during Birth - the End of Fetal Pulsoximetry?M. Butterwegge1
  • 1Marienhospital Osnabrück
Further Information

Publication History

Publication Date:
30 August 2006 (online)

Ein kontinuierliches, den Zustand des ungeborenen Fetus valide messendes Diagnostikum wünschen sich Geburtshelfer und Hebammen seit über 100 Jahren. Seitdem wir wissen, dass die Kardiotokographie zu 50 % falsch positive Alarme anzeigt und dadurch die operative Entbindungsfrequenz deutlich erhöht, wird der Ruf nach additiven Messmethoden immer lauter. Mit der Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung mittels Reflexionspulsoxymetrie an der fetalen Wange schien dieser Wunsch in Erfüllung zu gehen.

Gestatten Sie mir einen Rückblick zu den Anfängen:

1993 wurden von der Firma Nellcor an 8 deutschen Kliniken Pulsoxymeter des Prototyps N-400 aufgestellt. Der Beginn war für die Anwender („User”) mühsam, da der Prototyp des Sensors FS14 unregelmäßige Kontakte an der fetalen Wange zeigte. Er war sehr anfällig im Hinblick auf die maternale Beweglichkeit sub partu. Erst eine kontinuierliche Weiterentwicklung der technischen Komponenten (FS14B, FS14C) mit veränderten Wellenlängen des pulsatilen Signals sowie eine Schulung der Kreißsaalmitarbeiter verschaffte der Sauerstoffmessung Zutritt in über 100 Kreißsälen Deutschlands. Die Zufriedenheit mit diesem guten Diagnostikum konnte überall dort verzeichnet werden, wo ein geburtshilfliches Team regelmäßig mit dem System arbeitete und Kenntnisse über die fetale Physiologie besaß. 3 prospektiv randomisierte Studien kamen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass der additive Einsatz der fetalen Pulsoxymetrie zu einer 50 %-igen Reduktion von Fetalblutanalysen und sekundären Sektiones führt, ohne dabei eine Gefahr im Hinblick auf die Entstehung einer metabolischen Azidose für den Feten darzustellen [1] [2] [3].

Ein Besuch bei der Firma Nellcor in Pleasanton, Californien im Jahr 1994 gab dem Autor Auskunft über den Enthusiasmus und die technologischen Kenntnisse der produzierenden Ingenieure. Die Verbesserung des Systems ging auf die zahlreichen Anregungen zurück, die die deutsche Multizenterstudiengruppe erarbeitet und publiziert hat. Die Ergebnisse der europäischen Arbeitsgruppen wurden als Grundlage für die Zulassungsstudie der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) benötigt und eröffnete eine Möglichkeit für die erste prospektiv randomisierte Multizenterstudie in den USA.

Ende der 90-iger Jahre wurde die Firma Nellcor mehrfach verkauft (Mallinckrodt, Agilent, Philips, Tyco). Neben dem Problem der Firmenzugehörigkeit gab es zu keinem Zeitpunkt mehr einen qualifizierten Außendienst und keine technische Weiterentwicklung des Produktes. Die Möglichkeit, unter der Geburt an der Haut des ungeborenen Kindes die arterielle Sauerstoffsättigung zu messen, dadurch Rückschlüsse auf das fetale Wohlbefinden zu ziehen und damit klinische Entscheidungen über operative Interventionen zu treffen, ist phantastisch! Aber was nutzt es, wenn diskontinuierlich Signale vorhanden sind und der Sensor intermittierend manipuliert werden muss, um valide Signale zu erhalten. Die Patent besitzende Firma wäre verpflichtet gewesen hier tätig zu werden, und eine zusätzliche Technologie wie zum Beispiel die Technologie eines Ballonkatheters in den FS14-Sensor zu integrieren.

In unserer modernen Industriewelt zählen aber in erster Linie die Profite und das so genannte „shareholder value”. Insofern stand bei den produzierenden Firmen nicht die Reduzierung von operativen Interventionen und Schonung von Ressourcen im Gesundheitswesen im Vordergrund. Unlängst hat die Firma Tyco in einem Werbebrief mitgeteilt, die Produktion der gesamten Technologie würde 2007 eingestellt. Dieses trifft nicht nur die wissenschaftlich interessierten Kollegen, die über ein Jahrzehnt mit großer Akribie klinische Daten gesammelt und ausgewertet haben!

Literatur

  • 1 Garite T J, Dildy G A, McNamara H, Nageotte M P, Boehm F H, Dellinger E H, Knuppel R A, Porreco R P, Miller H S, Sunderji S. Varner MW, Swedlow DB. A multicenter controlled trial of fetal pulse oximetry in the intrapartum management of nonreassuring fetal heart rate patterns.  Am J Obstet Gynecol. 2000 Nov;  183(5) 1049-58
  • 2 East C E, Brennecke S P, King J F, Chan F Y, Colditz P B. FOREMOST Study Group . The effect of intrapartum fetal pulse oximetry, in the presence of a nonreassuring fetal heart rate pattern, on operative delivery rates: a multicenter, randomized, controlled trial (the FOREMOST trial).  Am J Obstet Gynecol. 2006 Mar;  194(3) 606.1-16
  • 3 Kühnert M, Schmidt S. Intrapartum management of nonreassuring fetal heart rate patterns: a randomized controlled trial of fetal pulse oximetry.  Am J Obstet Gynecol. 2004 Dec;  191(6) 1989-95

Prof. Dr. Michael Butterwegge

Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde

Marienhospital Osnabrück

Johannesfreiheit 2-4

47074 Osnabrück

Email: prof.butterwegge@mho.de

    >