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DOI: 10.1055/s-2006-947028
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Alles soll besser werden - wird es wirklich besser?
Publication History
Publication Date:
29 May 2006 (online)

Geredet, diskutiert, gestritten - langsam sollten wir in Sachen Gesundheitssystem in ein vernünftigeres Fahrwasser geraten. Wir müssen radikal umdenken und uns wirklich etwas Neues einfallen lassen. Zu viele Jahre haben Gesundheitsminister aller Couleur halbherzig daran herumgebastelt. Doch inzwischen stehen wir kurz davor, das komplette System an die Wand zu fahren. Was sich de facto in der jüngsten Zeit an „Systemerneuerung” vollzieht, ist entweder vordergründiger Aktionismus oder schmuck verpacktes Roll-Back. Die Politik erfindet immer neue Mechanismen, die Geld sparen sollen und letztendlich nur - freilich sehr viel später - noch mehr Geld kosten. Und das Übelste daran: So ziemlich alle Maßnahmen lassen das Damoklesschwert einer inhumanen Zweiklassenmedizin Wirklichkeit werden.
Ein besonders frappierendes Beispiel ist das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen” (IQWiG), das unter seinem sparwilligen Institutsleiter Professor Peter T. Sawicki zeigt, wie man Vertragsärzte bei ihrer Arzneimittelverordnung gängeln kann. Auf den ersten Blick ist die Idee nicht übel: Gescheite Köpfe sollen analysieren, welche medizinischen Maßnahmen sinnlos und nur kostenträchtig sind. Welche Kosten dieses neue Institut verschlingt, ist nicht bekannt. Was wir aber inzwischen wissen ist, wie dasselbe zu Werke geht. So gab es zum Beispiel einen Anhörungsmarathon zur Sinnhaftigkeit der kurz wirkenden Analoginsuline.
Das IQWiG hat diese Analoginsuline inzwischen trotz der damit bestehenden exzellenten internationalen Erfahrungen für nutzlos erklärt, und nach dieser Vorgabe wird der Gemeinsame Bundesausschuss die Substanzen aus der Verordnungsliste nehmen. Namhafte Diabetologen laufen gegen diese Entscheidung Sturm und kritisieren, dass das Institut Experten und Literatur einseitig ausgewählt und die Grundsätze evidenzbasierter Medizin missachtet habe, um zu diesem Ausschluss zu kommen. Der Bundesverband der niedergelassenen Diabetologen (BVND) nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Erfahrungen und die Kompetenz der deutschen Diabetologie, die sich auf internationale und nationale Leitlinien mit hoher Evidenz stützt, wird (...) mit Füßen getreten.” Das Sparziel allerdings ist erreicht und ebenso ein Schritt weiter zur Zweiklassenmedizin: Denn Privatpatienten bekommen Insulinanaloga weiterhin problemlos, nicht jedoch das Heer der gesetzlich Versicherten.
Lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit noch mit dem Bonus-Malus-System auf eine weitere geniale Strategie lenken, die unsere Klientel in Kassenpatienten und Privatversicherte teilt. Ohne auf dessen Feinheiten einzugehen - schon die Grundidee ist eine Unverfrorenheit: Der niedergelassene Kollege mit Kassenzulassung, der möglichst wenig verschreibt, wird pekuniär belohnt. Wer dagegen seine Patienten großzügig mit der leitliniengemäß (!) bestmöglichen Therapie versorgt, wird finanziell abgestraft. Nun erwartet ohnehin jedermann von uns Ärzten, dass wir nur die Ethik im Sinn haben und nicht ans Geld denken, doch mit einer Praxis, die pleite geht, ist auch den Patienten wenig gedient.
Hoffnung auf eine Wende? Die Überschüsse der Kassen sinken weiterhin. Die Industrie baut Stellen ab und reduziert damit weitere sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Barmer-Vorstand Eckart Fiedler rechnet 2007 mit einem Defizit von sieben Milliarden Euro. Sawicki & Co. müssen sich da noch einiges einfallen lassen. Merkwürdig ist nur, dass keiner aus der politischen Riege darüber nachdenkt, die gesetzliche Krankenversicherung von milliardenschweren versicherungsfremden Leistungen wie dem Mutterschaftsgeld oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu entlasten und das aus Steuermitteln zu finanzieren. Die Mehrbelastung der Kassen durch die anstehende Mehrwertsteuererhöhung oder den geplanten Stopp der Bundeszuschüsse, das muss dann halt woanders wieder reingeholt werden.