Neuropediatrics 2006; 210 - P167
DOI: 10.1055/s-2006-946521

Gut beschrieben, schwer erkannt: Progressive multizystische Enzephalopathie nach pränataler Ischämie-Hypoxie

L Garten 1, D Hüseman 1, G Stoltenburg-Didinger 2, U Felderhoff-Mueser 1, K Weizsäcker 3, I Scheer 4, M Obladen 1
  • 1Klinik für Neonatologie, Charité
  • 2Institut für Neuropathologie, Charité
  • 3Klinik für Geburtsheilkunde, Charité
  • 4Klinik für Radiologie, Charité, Berlin, D

Einleitung: Bei ätiologisch unklaren neonatalen progressiven Enzephalopathien kommt differentialdiagnostisch eine progressive multizystische Enzephalopathie (PME) nach pränataler transienter Hypoxie-Ischämie in Betracht. Sie ist durch ein typisches klinisches und morphologisches Muster gekennzeichnet. Eine unauffällige pränatale Anamnese schließt eine PME nicht aus, erschwert aber die Diagnosestellung. In dieser Situation werden nicht selten neurometabolische oder neuromuskuläre Erkrankungen vermutet und aufwändige und kostenintensive diagnostische Maßnahmen eingeleitet. Während die sonographisch fassbaren zystischen Veränderungen frühestens nach zwei Wochen nachweisbar sind, erfasst die MRT bereits in der ersten Woche nach der Schädigung pathognomonische Veränderungen.

Fallbericht: Weibliches Reifgeborenes, sekundäre Sectio nach unauffälliger Schwangerschaft (GG 2115g/3.-10. Perz., APGAR 6/7/7, NapH 7,33), erstes Kind konsanguiner Eltern. Bereits in den ersten Lebensminuten imponierten muskuläre Hypertonie, fehlende Spontanmotorik, insuffiziente Atmung und schwerer inspiratorischer Stridor. Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine rasch progrediente Enzephalopathie mit fehlenden Hirnstammreflexen, schweren Muskelkontrakturen, sowie Schluck- und Saugunfähigkeit. Plazentabefund, Tandem-Massen-Spektroskopie und weitere Stoffwechseluntersuchungen sowie eine Chromosomenanalyse erbrachten Normalbefunde. Im EEG fanden sich Zeichen einer allgemeinen Reifestörung, die Wellen IV und V der AEP waren pathologisch, die Hörschwelle bds. erhöht (60–70dB). Die MRT am 7. LT zeigte eine Hyperintensität der weißen Substanz von Hirn und Rückenmark, sowie multiple kleinzystische Nekrosen im Bereich von Hirnstamm/Thalamus/Basalganglien. Am 18. LT waren erstmals bilaterale Zysten der weißen Substanz und eine leichte Echogenitätserhöhung im Bereich der Basalganglien sonographisch nachweisbar. Exitus letalis am 31. LT in Folge respiratorischen Versagens. Der Obduktionsbefund zeigte das Bild einer ausgedehnten PME sowie pontosubikuläre und Hirnstamm-Nekrosen.

Kommentar: Bei fehlenden anamnestischen Hinweisen wird die Diagnose einer auf eine pränatale Hypoxie-Ischämie zurückzuführenden PME häufig erst mit Eintreten typischer sonographischer Veränderungen gestellt. Wir präsentieren klinische, bildgebende und histologische Befunde eines Neugeborenen mit PME in ihrer zeitlichen Abfolge und Relevanz. Die MRT in der ersten Lebenswoche ist die entscheidende Untersuchung zur frühzeitigen Diagnosefindung; sie ermöglicht ein adäquates Therapiemanagement und eine eventuelle Entscheidung zur Therapiebegrenzung.