Neuropediatrics 2006; 210 - V65
DOI: 10.1055/s-2006-946347

Die Anpassung an das extrauterine Leben geht mit einem Verlust an Hypoxietoleranz einher: Mikrokalorimetrische und ultrastrukturelle Untersuchungen am neonatalen Rattenmyokard

D Singer 1, C Mühlfeld 2
  • 1Univ.-Kinderklinik, Würzburg
  • 2Anatomisches Institut, Göttingen, D

Es ist seit langem bekannt, dass manche Säugetiere über eine beträchtliche neonatale Hypoxietoleranz verfügen, die nach einiger Zeit verlorengeht. Über die zugrundeliegenden Mechanismen besteht jedoch bislang nur wenig Klarheit.

Generell gilt, dass kleinere Organismen einen höheren spez. Energieumsatz (in W/kg) aufweisen als größere und damit u.a. ihre höheren Wärmeverluste (infolge der größeren relativen Körperoberfläche) ausgleichen. Dies trifft auch auf Neugeborene im Vergleich zu Erwachsenen zu, wobei der Energieumsatz nach der Geburt von einem niedrigeren fetalen auf das höhere neonatale Niveau ansteigt. Bei Species, die physiologischerweise in unreifem Zustand geboren werden, verläuft dieser postnatale Energieumsatzanstieg verzögert, was ihnen – um den Preis einer gesteigerten Thermolabilität – eine höhere Wachstumseffizienz einbringt. Außerdem scheinen sie in der Übergangsphase die Fähigkeit zu besitzen, je nach O2-Angebot zwischen dem höheren neonatalen und dem niedrigeren fetalen Umsatzniveau zu schwanken. Dieser “Oxykonformismus“ trägt wesentlich zu der neonatalen Hypoxietoleranz bei.

In der vorliegenden Untersuchung wurde am Rattenmyokard mit mikrokalorimetrischer Methodik der aerobe Energieumsatz und das ischämische Stoffwechselverhalten sowie mit elektronenoptisch-morphometrischer Technik die Mitochondriendichte im postnatalen Verlauf bestimmt. Der aerobe Energieumsatz liegt im neonatalen Gewebe – der allgemeinen Körpergrößen-Beziehung folgend – höher als im adulten (3,59±0,52 vs. 2,08±0,14 mW/g Trockenmasse, n=12/14, p<0.05). Dennoch verläuft die ischämische “Absterbekurve“ deutlich langsamer und entspricht damit eher dem niedrigen fetalen als dem hohen neonatalen Umsatzniveau. Analog steigt die Mitochondriendichte in der Postnatalperiode von einem unverhältnismäßig niedrigen auf einen der Körpergröße entsprechenden Wert an (20,6±1,8 vs. 32,3±1,2%, n=6/6, p<0.01).

Offenbar vermag das neonatale Gewebe bei gutem O2-Angebot bereits einen erhöhten Energieumsatz aufzubringen, obwohl die Mitochondriendichte noch dem niedrigeren fetalen Umsatzniveau entspricht. Andererseits verlangsamt die “sparsame“ Mitochondrienausstattung vermutlich den ischämischen Absterbevorgang. Nach der Geburt kommt es zu einem adaptiven Anstieg der Mitochondriendichte, der das zunächst nur funktionell erhöhte Umsatzniveau strukturell fixiert. Damit erweist sich der Verlust der neonatalen Hypoxietoleranz als Preis für die Anpassung der “Stoffwechselmaschinerie“ an das extrauterine Leben.

Die Ergebnisse bestätigen überdies, dass der O2-Verbrauch in der Neonatalperiode flexibler an das O2-Angebot angepasst werden kann als im Erwachsenenalter. Dies kommt nicht nur der perinatalen Hypoxietoleranz zugute, sondern gewährleistet möglicherweise auch, dass das nach Umstellung vom fetalen zum adulten Kreislauf erhöhte O2-Angebot verwertet wird und nicht zu einer anhaltenden Gewebshyperoxie führt.