Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210 - P118
DOI: 10.1055/s-2006-943293

Falldarstellung eines hypotrophen Neugeborenen mit Monosomie 1p36.3– ein relativ neues Mikrodeletionssyndrom mit typischer Facies

M Moll 1, A Rieß 2, R Goelz 1, C Poets 1
  • 1Univ.-Kinderklinik Tübingen
  • 2Univ.-Klinikum, Medizinische Genetik, Tübingen, D

Einleitung: Oft bleibt die Ursache einer Hypotrophie bei Geburt unklar, die Chromosomen sind unauffällig und das Kind wird ohne Diagnose aus stationärer Betreuung entlassen.

Anhand eines Fallbeispieles wollen wir die Monosomie 1p36.3 als eine Ursache einer ausgeprägten Hypotrophie vorstellen. Kinder mit diesem Mikrodeletionssyndrom zeigen typische Auffälligkeiten.

Kasuistik: Weibliches, reifes, deutlich hypotrophes Neugeborenes (GG 1940g) mit folgenden Auffälligkeiten: Hypertelorismus, enge Lidspalte, Mittelgesichtshypoplasie, asymmetrische Ohren, präaurikuläres Ohranhängsel, mongoloide Lidachse, invertierte Mamillen, Trinkschwäche, leichte muskuläre Hypotonie. In der Abklärung nach Geburt findet sich in der herkömmlichen Chromosomenanalyse ein unauffälliger weiblicher Karyotyp, kein Anhalt für pränatale Infektionen, eine Ventrikelasymmetrie in der Schädelsonographie, ein ASDII und bds. nicht auslösbare otoakkustische Emmissionen. Entlassung des Kindes ohne Diagnosestellung.

Im Alter von 6 Monaten unveränderte Dysmorphiezeichen, zusätzlich eine sehr weite Fontanelle und prominente Stirn, zunehmender Kleinwuchs, Dystrophie und Mikrozephalie sowie deutliche psychomotorische Retardierung und eine an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit. Nach humangenetischem Konsil Verdacht und Nachweis einer Monosomie 1p36.3 mit Fish-Diagnostik.

Schlussfolgerung: Aufgrund typischer Symptome konnte die Diagnose einer Monosomie 1p36.3 gestellt werden. Hierbei fehlt ein winziges Chromosomenbruchstück am kurzen Arm eines der beiden Chromosomen 1 (meist als Neumutation, teils auch auf balancierte Translokation eines Elternteils zurückführbar). Die Monosomie 1p36.3 ist das häufigste bisher bekannte Mikrodeletionssyndrom (1 von 5000 Neugeborenen) und bei 2% aller geistig behinderten Kinder vorhanden.

An typischen Symptomen sind beschrieben: große vordere Fontanelle, asymmetrische Ohren (oder andere asymmetrische Befunde), Mittelgesichtshypoplasie, prominente Stirn sowie weitere Auffälligkeiten. Die meisten Kinder sind bei Geburt hypotroph, hypoton und trinkschwach und entwickeln eine Microzephalie. Allerdings sind auch Kinder mit normalen Körpermaßen und späterem Übergewicht beschrieben. Viele Kinder haben eine ausgeprägte Schwerhörigkeit und eine Sehstörung, Krampfanfälle und Verhaltensstörungen. Mehr als 40% der Kinder haben einen Herzfehler, >20% entwickeln eine dilatative Kardiomyopathie. Die motorische und geistige Entwicklung ist variabel, aber fast immer deutlich verzögert. Das Risiko für Entwicklung eines Neuroblastoms ist erhöht.

Der Fall wird mit Bildmaterial präsentiert und soll den diagnostischen Blick des Neonatologen für dieses Krankheitsbild schärfen.