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DOI: 10.1055/s-2006-943114
Frühgeborene an der unteren Grenze der Lebensfähigkeit: Vergleich der wissenschaftlichen Leitlinien in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Leitlinien zur Versorgung von Frühgeborenen an der unteren Grenze der Lebensfähigkeit stehen zunehmend im Spannungsfeld zwischen ansteigenden Überlebensraten, unsicherer Spätprognose, finanziellen Erwägungen im Krankenhaus und grundsätzlichen ethischen Bedenken.
Fragestellung: Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede weisen die Leitlinien der 3 verwandten neonatologischen Fachgesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz auf?
Methodik: Die veröffentlichten nationalen Leitlinien in ihrer aktuellen Version von 1999, 2002 und 2005 wurden analysiert hinsichtlich folgender Inhalte: (a) Hauptgesichtspunkte der Stratifizierung, (b) konkrete Handlungsempfehlungen, (c) medizinische, wissenschaftliche, juristische oder ethische Begründung, (d) Orientierung an Grundsätzen des ärztlichen Handelns, usw.
Ergebnisse: Die 3 Leitlinien unterscheiden sich in Umfang, konkreter Ausformulierung relevanter Einflussvariablen und fundamentaler Begründung. Während die deutsche (GNPI-)Leitlinie als Hauptmerkmal die Grenze >/<23+6 SSW formuliert, ist in der schweizerischen Leitlinie der Schwerpunkt auf das präpartale Management gelegt. Diese vorgeburtliche Festlegung orientiert sich sehr stark an engen Gestationsaltersgrenzen, der postpartale Zustand erhält dann eine Bedeutung, wenn Frühgeborene in einer Einrichtung der Maximalversorgung geboren werden. Elterliche Wünsche und postpartaler Zustand finden gleichfalls Berücksichtigung. In den österreichischen Leitlinien ist im Gegensatz dazu eine vorgeburtliche Verlegung in ein Perinatalzentrum in jedem Fall empfohlen, eine Stratifizierung zur Durchführung pränataler Massnahmen (Lungenreifung, Tokolyse, Sectio) ist aber ebenfalls vorgesehen. Es wird sehr stark auf das Lebensrecht nach erfolgter Geburt abgestellt, Hauptkriterium für den Grad der Versorgung ist die Vitalität nach der Geburt. Als einzige Leitlinien formulieren sie Grundsätze bei nicht einstimmiger Meinung im Team. Die Prinzipien volle Intensivtherapie, „provisional care“ oder „palliative care“ orientieren sich in Österreich nicht primär am Gestationsalter, in der Schweiz jedoch ausdrücklich. Alle 3 Leitlinien beziehen die Eltern mit ein. Die Berücksichtigung aktueller statistischer Daten zur Mortalität oder Morbidität ist in allen Leitlinien angesprochen, die Bezugsgrundlage ist jedoch sehr unterschiedlich. Keine der Leitlinien berücksichtigt die in der Literatur beschriebenen pränatal bekannten biologischen Variablen für ein günstiges/ungünstiges „outcome“ (Geschlecht, Ethnizität usw.).
Schlussfolgerung: Die Leitlinien der 3 Fachgesellschaften weisen Gemeinsamkeiten, aber auch erhebliche Unterschiede auf. Diese herauszuarbeiten und daraus Ansätze für eine möglichst einheitliche Betrachtungsweise in den deutschsprachigen neonatologischen Fachgesellschaften zu liefern ist das Ziel dieser Gegenüberstellung.