Zusammenfassung
Kaum eine andere medizinische Disziplin ist so weitgehend ihrem historischen Erbe
und insbesondere dem Vermächtnis ihres Begründers verpflichtet wie die Homöopathie.
Samuel Hahnemann (1755-1843) hat mit seinem Konzept des "similia similibus" im letzten
Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine Medizin entworfen, die mit ihrem individuellen
Ansatz in Anamnese und Therapie nicht nurden konkurrierenden Konzepten ärztlichen
Handeln ihrer Zeit erfolgreich gegenüber stand, sondern diese auch bis heute zum Wohle
der ratsuchenden und von der Allopathie enttäuschten Patienten überdauern konnte.
Der vorliegende Beitrag soll Licht werfen auf die Konzeptlandschaft der Medizin des
ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Dabei wird zu zeigen sein, daß die
sogenannte "Schulmedizin" jener Zeit, von der sich Hahnemann bewußt abwandte, vielfältige
Gestalt hatte. Sie war nicht aus einem Guß, sondern vielmehr ein Konglomerat unterschiedlichster
Ansätze und vielfältiger Denk- und Praxistraditionen. Modernere Elemente des Animismus,
des Vitalismus, des Brownianismus, des Mesmerismus spielten in ihr ebenso eine Rolle
wie auch noch das klassische Konzept der Säftemedizin. Hahnemann hat sich mit den
meisten dieser Strömungen und ihren gefährlichen allopathischen Therapieansätzen kritisch
auseinandergesetzt. Aber sein neues ärztliches Denken und Handeln lebt nicht nur aus
der Abkehr von den konkurrierenden Konzepten, sondern bezieht selbst aus dem Vitalismus
der Zeit, besonders aus der Lebenskraftlehre eines Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836)
wichtige Elemente, wenngleich die therapeutischen Konsequenzen Hahnemanns auch dem
Vitalismus diametral gegenüber stehen. Auch war die Homöopathie nicht einziger Ausdruck
einer Abkehr von der gefahrvollen allopathischen Thera-peutik der Zeit. Der - erfolglose
- "Therapeutische Nihilismus" des Wieners Joseph Dietl (1804-1878) oder die frühe
Naturheilkunde, die gerade in unserer Zeit eine vielgestaltige Renaissance erlebt,
kennzeichneten ebenfalls die Suche nach einer angemesseneren Medizin.
Summary
Besides homoeopathy, hardly any other medical concept canbefound,whichisstron-ger
obliged to its historical roots or to the legacy of its founder. During the last decade
of the 18th Century Samuel Hahnemann (1755-1843), with his concept of "similia similibus"
designed a new art of healing, that could compete successfully with all other contemporary
concepts of medicine, especially because of its considerate and individual approach,
both in anamnesis and in therapy. Homoeopathy outlasted not only its founder, it is
still practiced by homoeopathical physicians and accepted by an increasing number
of patients. The paper goes back into history and tries to shed light upon the landscape
of medical concepts at Hahnemanns time. The so called allopathic "Schulmedizin" at
the begin-ning of the 19th Century was not made of a piece, nor was it perfect, and
it was far from being successful. It contained elements of animism, vitalism, Mesmerism,
Brownianism and even of the old concept of humoural pathology. Hahnemann knew them
all and he sharply criticised them, mostly because of their dangers for the patient.
Nevertheless he also profited from the contemporary concept of vitalism ("Lebenskraft"),
designed by Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), even if his homoeopathic therapeutic
was completly different from Hufeland's vitalism. Finally the paper will outline two
other medical concepts of Hahnemanns time which were also based on the critique of
allopathical medicine: Joseph Dietl's (1804-1878) "therapeutical nihilism" and the
early naturopathy.
Schlüsselwörter
Animismus - Brownianismus - Mesmeris-mus - Naturheilkunde - Therapeutischer Nihilismus
- Vitalismus