Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2006; 38(2): 69-70
DOI: 10.1055/s-2006-932356
Forschung
Neues aus der Onkologie
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Ernährung und Krebs - was ist gesichert?

Zum Beitrag aus DZO 2006; 38(1): 3-39
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Publication Date:
04 July 2006 (online)

In einem Übersichtsartikel zum Einfluss der Ernährung auf die Inzidenz von Krebserkrankungen zeigt P. Stiefelhagen die nach heutiger Datenlage gesicherten Zusammenhänge zwischen einzelnen Lebensmittelgruppen und Nährstoffen sowie Supplementen und der Entstehung von Krebs auf.

Zur Beurteilung eines protektiven Effekts bezieht sich Stiefelhagen in erster Linie auf die Daten der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), der größten prospektiven Kohortenstudie zum Thema Krebs und Ernährung in 10 europäischen Ländern mit rund 520 000 Probanden. Zweifellos ist diese Studie ein Meilenstein in der Erforschung von Zusammenhängen zwischen Ernährung, einzelnen Nährstoffen und der Krebsentstehung. Dass sich aus den jüngsten Auswertungen der EPIC-Studie ein viel geringerer Zusammenhang zwischen der Obst- und Gemüsezufuhr und der Krebsinzidenz als bisher ableiten lässt, ist jedoch nicht angebracht und soll in diesem Kommentar ebenso wie der Stellenwert von Supplementen diskutiert werden.

Neben der EPIC-Studie hat sich eine Vielzahl von anderen Fall-Kontroll- und prospektiven Kohortenstudien mit dem Faktor Obst- und Gemüsezufuhr beschäftigt. Bereits 1996 haben Steinmetz und Potter die bis dato 206 (!) Humanstudien in einem Review zusammengefasst und einen Risiko senkenden Effekt in 74 % der Studien und keinen Effekt in 16 % identifizieren können. Die positiven Effekte betrafen vor allem Tumoren des Magens, der Lunge, des Mund-Rachen-Raumes, des Endometriums und des Kolons (12). Dass bei Tumoren der Brust und der Prostata keine inverse Assoziation in der EPIC-Studie gefunden wurde, hängt, so die Autoren, möglicherweise mit der zu kurzen Beobachtungsdauer von im Median nur 5,4 Jahren zusammen, was angesichts der langen Genese dieser Tumoren ein bedeutender Punkt ist [13].

Weiterhin dürfte bei diesen Tumoren die Fettzufuhr eine große Rolle spielen, da diese einen Einfluss auf die Estradiol-, Insulin- und Insulin like growth factor-Spiegel haben, alles Faktoren, die die Zellproliferation dieser hormonabhängigen Tumoren fördern [2]. Kürzlich konnte durch eine deutlich fettreduzierte Ernährung nach einer primären Brustkrebserkrankung nach 5 Jahren Follow-up eine 24 % niedrigere Rezidivrate in der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe beobachtet werden [3]. Dies ist insofern ein wichtiges Ergebnis, als es zeigt, dass eine gesunde Ernährung nicht nur in der Prävention, sondern auch nach einer Krebserkrankung nicht nur der Verbesserung der Lebensqualität, sondern einen echten Überlebensvorteil bringen kann. Gespannt sein können wir in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der Womens' Healthy Eating and Living Study, die den Effekt einer Obst und Gemüse reichen und fettarmen Ernährung nach Brustkrebs untersucht [10].

Stiefelhagen weist darauf hin, dass die Einnahme von Supplementen zur Krebsprävention keine Vorteile, sondern bestenfalls sogar gesundheitsschädlich wäre. Leider werden immer wieder ausschließlich die CARET-Studie [9] bzw. die ATBC-Studie [1] zitiert, bei der starke Raucher unter Beta-Carotin-Einnahme als Monopräparat (30 mg/d über 4 Jahre bzw. 20 mg/d über 6 Jahre) tatsächlich ein signifikant höheres Lungenkrebsrisiko hatten. Dass das Risiko unter kombinierter Einnahme von Vitamin E und Beta-Carotin in der ATBC-Studie nicht erhöht war [1] und nach weiteren 5 Jahren Follow-up in der ATBC-Studie auch die alleinige Einnahme von Beta-Carotin keine Risikoerhöhung brachte [14], bleibt bedauerlicherweise unerwähnt. Nach den vielen enttäuschenden Studien der 1990er Jahre mit Monopäparaten, die meist keine Effekte auf Krebsinzidenzen hatten, sind dies aber die beiden entscheidenden Punkte, auf die Stiefelhagen in seinem Beitrag bereits mit der Nurses Health Study und der geringeren Darmkrebsinzidenz unter Supplementeinnahme hindeutet [5]. Eine Supplementeinnahme zeigt, mit Ausnahme des Selens, nur in der Kombination eine Wirkung und, wie auch bei Ernährungsinterventionen, meist erst nach längerer Zeit Effekte. Ein erstes Beispiel des neuen Jahrzehnts, das diese Hypothese belegt, ist die Su.Vi.Max.-Studie, die unter der Einnahme von täglich 120 mg Vitamin C, 30 mg Vitamin E, 6 mg Beta-Carotin, 100 μg Selen und 20 mg Zink nach 7,5 Jahren bei Männern eine signifikante Reduktion der Tumorinzidenz um 31 % demonstrieren konnte [7]. Bei Frauen wurde kein Benefit erreicht, da diese bereits über die Ernährung eine hohe Zufuhr an diesen antioxidativen Substanzen hatten.

Und hier kommt der nächste Punkt ins Spiel: der Ist-Zustand bezüglich der Versorgung mit Mikronährstoffen in der deutschen Bevölkerung. Rund 2/3 der Erwachsenen erreichen nicht die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung [4] für Vitamin E-Zufuhr von 12 mg/d, 1/3 nicht die empfohlene Vitamin C-Zufuhr von 100 mg/d [6]. Es existieren also offensichtlich Risikogruppen, die wegen ungünstiger Ernährungsgewohnheiten nicht ausreichend mit tumorprotektiven Substanzen versorgt sind.

Bis zu 80 % der Tumorpatienten nehmen Supplemente ein [8], 60 % davon ohne Wissen ihres Onkologen [11]. Hier haben betreuende Ärzte eine hohe Verantwortung - sowohl bezüglich der Sicherheit der Dosierung und Auswahl der Präparate, aber auch bezüglich des Respekts vor dem Wunsch des Patienten nach Selbsthilfe, die nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern möglicherweise einen signifikanten Beitrag zur Gesunderhaltung leisten kann.

Literatur

  • 01 Albanes D, Heinonen O P, Taylor P R. et al . Alpha-Tocopherol and beta-carotene supplements and lung cancer incidence in the alpha-tocopherol, beta-carotene cancer prevention study: effects of base-line characteristics and study compliance.  J Natl Cancer Inst.. 1996;  88 1560-70
  • 02 Barnard R J, Aronson W J, Tymchuk C N, Ngo T H. Prostate cancer: another aspect of the insulin-resistance syndrome?.  Obes Rev.. 2002;  3 303-8
  • 03 Chlebowski R T, Blackburn G L, Elashoff R E. et al .Dietary fat reduction in postmenopausal women with primary breast cancer: Phase III Women's Intervention Nutrition Study (WINS). 2005 (abstr) ASCO Annual Meeting 2005
  • 04 Deutsche Gesellschaft für Ernährung/ÖGfE/SGfE/SVfE .Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Frankfurt/M.; Verlag Umschau Braus 2000
  • 05 Giovannucci E, Stampfer M J, Colditz G A. et al . Multivitamin use, folate, and colon cancer in women in the Nurses' Health Study.  Ann Intern Med. 1998;  129 517-24
  • 06 Mensink G. Was essen wir heute? - Ernährungsverhalten in Deutschland. Berlin; Mercedes-Druck 2002
  • 07 Meyer F, Galan P, Douville P. et al . Antioxidant vitamin and mineral supplementation and prostate cancer prevention in the SU.VI.MAX trial.  Int J Cancer. 2005;  116 182-6
  • 08 Newman V, Rock C L, Faerber S, Flatt S W, Wright F A, Pierce J P. Dietary supplement use by women at risk for breast cancer recurrence. The Women's Healthy Eating and Living Study Group.  J Am Diet Assoc. 1998;  98 285-92
  • 09 Omenn G S, Goodman G E, Thornquist M D. et al . Effects of a combination of beta carotene and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease.  N Engl J Med. 1996;  334 1150-5
  • 10 Pierce J P, Faerber s, Wright F A. et al . A randomized trial of the effect of a plant-based dietary pattern on additional breast cancer events and survival: the Women's Healthy Eating and Living (WHEL) Study.  Control Clin Trials. 2002;  23 728-56
  • 11 Prasad K N. Antioxidants in cancer care: when and how to use them as an adjunct to standard and experimental therapies.  Expert Rev Anticancer Ther. 2003;  3 903-15
  • 12 Steinmetz K A, Potter J D. Vegetables, fruit, and cancer prevention: a review.  J Am Diet Assoc. 1996;  96 1027-39
  • 13 Gils C H van, Peeters P H, Bueno-de-Mesquita  H B. et al . Consumption of vegetables and fruits and risk of breast cancer.  JAMA. 2005;  293 183-93
  • 14 Virtamo J, Pietinen P, Huttunen J K. et al . Incidence of cancer and mortality following alpha-tocopherol and beta-carotene supplementation: a postintervention follow-up.  JAMA. 2003;  290 476-85

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Geschäftsführer der Wissenschaftlichen
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