intensiv 2006; 14(1): 2-3
DOI: 10.1055/s-2006-926493
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Publication Date:
18 January 2006 (online)

Große Chance oder düstere Zukunft? Rhön-Klinikum übernimmt Universitätsklinikum Gießen/Marburg

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik übernimmt ein privater Betreiber ein Universitätsklinikum. Nach dem Willen der Hessischen Landesregierung sollen die Mitte des Jahres 2005 fusionierten Universitäts-Klinika Gießen und Marburg an die Rhön-Klinikum AG verkauft werden.

Verkauft: Universitätsklinika Gießen und Marburg. Foto: photocase.

Die Rhön-Klinikum AG werde 95 % der Anteile des Landes an den Universitätskliniken Gießen und Marburg für 112 Millionen Euro erwerben. Fünf Prozent verbleiben zum Schutz von Forschung und Lehre in der öffentlichen Hand. Gleichzeitig verpflichtet sich die Rhön-Klinikum AG zu Investitionen in Höhe von 367 Mio. Euro, davon 260 Mio. Euro in Neu- und Umbauten. Diese sollen schnellstmöglich begonnen und spätestens 2010 abgeschlossen werden.

Hessen will damit bundesweit als Vorreiter glänzen - Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist stolz: „Ich glaube, dass wir eine bahnbrechende Entscheidung getroffen haben, der andere folgen werden.” Ende Dezember stand die Privatisierung noch einmal auf der Tagesordnung des hessischen Landtages. Am 18. Januar schließlich muss der Haushaltsausschuss des Landtages dem Verkauf der Immobilien zustimmen.

Lange Zeit galt der Krankenhaus-Betreiber Helios als hoher Favorit, die Entscheidung für die Rhön-Klinikum AG ist eine Überraschung. Derzeit ist Rhön mit 39 Kliniken und 10 320 akut-stationären Betten an 31 Standorten in acht Bundesländern vertreten, an den rund 20 500 Beschäftigte tätig sind.

Auch Rhön-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Pföhler gibt sich optimistisch: „Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir zugunsten aller Beteiligten die richtigen Maßnahmen treffen werden. Ich glaube, dass in der Entstaatlichung gerade im universitätsklinischen Bereich eine große Chance liegt.”

Die Kritiker der Privatisierung bleiben bei ihren Bedenken. SPD, Grüne und die Gewerkschaft Ver.di sehen vor allem Gefahren für die Arbeitsplätze der Klinik-Mitarbeiter. Zudem gibt es Zweifel an der Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre. Ministerpräsident Koch habe „in dem unbändigen Drang, Neuland zu betreten, ein hektisches Verfahren vorangetrieben, in dem längst nicht alle Fragen geklärt sind”, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jürgen Walter.

Überrascht war am 17. Dezember auch der Gießener Personalrat: Die Landesregierung hatte versprochen, die Beschäftigten vor der Öffentlichkeit über den Käufer zu informieren. Für 13.00 Uhr war die Pressekonferenz angekündigt, um 12.53 Uhr erhielt Klaus Hanschur, Vertreter der Angestellten im Personalrat, eine knappe SMS aus dem Ministerium: „Land hat sich für Rhön Klinikum AG entschieden, weitere Infos gehen an Ihre E-mail-Adresse”.

„Ich finde die Form der Übermittlung einer SMS für völlig daneben. Ich habe erwartet, dass wir zumindest angerufen werden, und zwar rechtzeitig und nicht sieben Minuten vor der Pressekonferenz der Landesregierung”, ärgert sich Hanschur gegenüber dem Hessischen Rundfunk.

Dabei sind die Personalräte ohnehin nicht gut auf die Rhön-Klinikum AG zu sprechen. Engagiert haben sie gegen die Privatisierung gekämpft und sehen eine düstere Zukunft heraufziehen.

Hanschur: „Die Rhön-Klinikum ist ein ganz harter Brocken. Wir haben als Gießener Personalrat eine lange Erörterung mit Vertretern der Rhön durchgeführt und die Ergebnisse waren mehr als ernüchternd. Außerdem steht die Rhön-Klinikum AG dafür, dass sie die Arbeitnehmervertreter nicht besonders positiv behandeln und sehr geringschätzig bewerteten.”

Angesichts der geplanten Investitionen stelle sich beispielsweise die Frage, wie der Konzern diese Investitionen finanzieren und dennoch Gewinne erzielen wolle. Wenngleich der Vorstand bis 2010 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen hat, befürchtet die Grünen-Landtagsabgeordnete Sarah Sorge Gefahren für die Arbeitsplätze, die Studienplätze und die Entwicklung der Krankenversorgung.

Ver.di erwartet schon kurzfristigen Druck auf die Arbeitsplätze der Beschäftigten im Wirtschafts- und Versorgungsdienst der Klinik, aber auch im medizinisch-technischen Dienst und im Pflegedienst. Die Gewerkschaft will mit der Rhön-Klinikum AG kurzfristig Tarifverhandlungen für die Mitarbeiter in Gießen und Marburg aufnehmen. (hhe)

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