Aktuelle Dermatologie 2006; 32(6): 233
DOI: 10.1055/s-2006-925432
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Immunreaktionen und Allergie

Immune Reactions and AllergyE.  G.  Jung
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Publication Date:
19 May 2006 (online)

Phylogenetisch haben sich die Mechanismen der Immunerkennung und Immunabwehr im Zuge der Entwicklung der Land bewohnenden Wirbeltiere, also schon vor Jahrmillionen herausgebildet. Zunächst war dies die T-Zell-vermittelte Spättyp-Reaktion. Später, im Laufe der Entwicklung der Vögel, kam die Immunglobulin-vermittelte Soforttyp-Reaktion dazu. Beide sind selektiv, spezifisch und im ganzen Körper hoch wirksam. Der Mensch verfügt über beide Reaktionstypen in bester Ausformung. Beide sind adaptiv, können sich also auf neue Antigene einstellen, entwickeln Gedächtnis und sind durch wiederholte Stimulation maximierungsfähig. Bei beiden dauert die Sensibilisierungsphase bis zur Primärantwort 4 - 10 Tage. Unterschiede bestehen in der Reaktionszeit bei der Effektorphase. Während die zellvermittelte Reaktion Stunden bis Tage benötigt, reagiert die Immunglobulin-vermittelte Reaktion schon nach Sekunden bis Minuten. Dies ist in die Benennung eingeflossen.

Immunerkennung und Immunabwehr dienen der spezifischen Verstärkung der natürlichen Entzündungsreaktionen des Körpers auf Fremdstoffe und Infekterreger jeglicher Art. Sie dienen aber auch der Oberflächenüberwachung, um Fremdstoffe und Erreger möglichst peripher zu blockieren und zu eliminieren, noch bevor diese in den Körper eindringen, sich in diesem vermehren und ausbreiten können. Die Immunglobulin-vermittelte Reaktion versieht diesen Dienst besonders an den oberen Luftwegen, den Atmungsorganen und am Darm, während die zellvermittelte Reaktion die Haut überwacht.

Die immunologische Ausrüstung eines jeden Menschen wird in der Kindheit erworben und richtet sich auf die tatsächlichen Expositionen aus, Expositionen welche die Umwelt anbietet und Infektionen aller Arten. Es resultiert eine wirksame Immunausrüstung aus dem aktiven und symptomreichen Durchleben aller angebotenen Infektionen, welche in den verschiedenen Lebensaltern in Familie, Kindergärten, Schule und Freizeitgestaltung auftreten. Es ist eher eine massive und lästige Durchseuchung. Und in der Haut etablierte sich eine kräftige zelluläre Abwehr als Antwort auf die massive Besiedelung durch Pilze, Krätze und viele andere Parasiten.

Im Rahmen der kulturellen und sozialen Entwicklungen haben sich die Umweltsverhältnisse drastisch verändert und sie ändern sich weiter. Die parasitäre Besiedlung der Haut ist weitgehend zurückgedrängt, die großen Seuchen werden erfolgreich bekämpft und viele Kinderkrankheiten sind durch Impfung oder durch Abtrennung der Gesunden von Erkrankten (Quarantäne) deutlich eingeschränkt. Die Immunabwehr ist unterbeschäftigt. Sie sucht sich „Ersatzfelder”, resp. Ersatzantigene. Solche findet sie in der Umwelt: harmlose Schwebeallergene, Medikamente, Kosmetika, Körperpflegemittel, Arbeitsstoffe, Kleidung und Schmuck. Stadt-Land-Vergleiche zeigen, dass Pollenallergien in der städtischen Umwelt zunehmen, besonders noch bei den Trägern der atopischen Disposition. Dieses Phänomen wird auch beobachtet bei Kindern, die von Infektionsherden möglichst fern gehalten werden. Das unterbeschäftigte Immunsystem entwickelt Allergien. Dies sind unerwünschte, ja unnütze Immunreaktionen auf körperfremde Substanzen.

Anstelle der nicht geforderten Parasitenabwehr erkennt die Überwachung kleine, harmlose Moleküle als Haptene, bindet sie an Proteine und präsentiert diese Komplexe dem Immunsystem als wären sie Antigene der Milben. Kontaktekzeme sind die Folge und diese haben enorm zugenommen. Chrom als Hapten des Zementekzems ist ein drastisches Beispiel aus der Arbeitswelt und Nickel ein Hapten an Kleidung und Modeschmuck ebenfalls. Neuerdings schleicht sich das Nickelekzem über die Euromünzen wieder in den Alltag ein. Darüber wird auf Seite 260 berichtet. Aber auch alltägliche Stoffe aus Beruf, Sport und Kultur stellen Haptene dar, wie anhand von Kolophonium auf Seite 239 gezeigt wird. Kontaktekzeme sind für uns Dermatologen wichtig und überall zu finden, versteckt und offenbar. Sie haben uns seit jeher beschäftigt, beflügelt und erfüllt. Es wird so bleiben.

Prof. Dr. Ernst G. Jung

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