Zusammenfassung:
Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen ist ein zunehmendes Problem. Das Einstiegsalter
sinkt. Betroffene Jugendliche waren in der Kindheit häufig äußeren und inneren Belastungen
ausgesetzt. Frühe Bindungs- und Beziehungsstörungen finden sich in der Vorgeschichte.
Seelische Fehlentwicklungen und Störungen können die Folge sein. Häufig werden die
Drogen als Selbstmedikation eingesetzt, um seelische Schmerzen und Nöte nicht so deutlich
wahrnehmen zu müssen. Seit 1999 haben wir im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover,
mit der Therapiestation für drogenabhängige Kinder und Jugendliche Teen Spirit Island
ein spezielles therapeutisches Angebot für diese Altersgruppe entwickelt.
Lebensgeschichte, Delinquenz, Komorbidität, Drogenmissbrauch:
Drogen, Alkohol, Gewalt und selbstverletzendes Verhalten sind als primäre Regulatoren
(bei mangelhafter Selbstregulation) und Organisatoren von Identität anzusehen. Die
Adoleszenz ist eine Zeit des Umbruchs. Die Einheit von Denken, Fühlen und Handeln
zerbricht. Vertrautes wird infrage gestellt. Ein Experimentieren mit und ein Spiel
an Grenzen charakterisiert diesen Lebensabschnitt. So stellt die Aldoleszenz eine
mögliche Bruchstelle in der Entwicklung dar. Drogen, Alkohol, Gewalt, Kriminalität
und selbstschädigende Verhaltensweisen sind Irrwege und Auswege dieser Lebensphase,
die bei inneren und äußeren Belastungen auftreten, die nicht anders bewältigt werden
können. Größenvorstellungen in der Adoleszenz sind nichts Außergewöhnliches. Sie sind
sogar wichtig als „Entwicklungsprogramm“ zum Großwerden. Es besteht jedoch die Gefahr
der Verwirklichung einer immensen destruktiven-narzisstischen Größenfantasie. Oft
handelt es sich hierbei um Jugendliche, bei denen komplexe psychische, interpersonelle
und soziale Beeinträchtigungen vorliegen, Jugendliche mit Grenzenstörungen, die auch
als Frühstörungen, ich-strukturelle Störungen, komplexe neurotische Entwicklungsstörungen,
Borderline-Störungen oder chronische und komplexe PTSD bezeichnet werden (Streek-Fischer
2005). Bei drogenabhängigen Jugendlichen finden sich häufig komorbide Störungen des
Sozialverhaltens (28–62%) und depressive Störungen (16–61%). Weitere, gehäuft auftretende
Komorbiditäten sind Angststörungen, sozialphobische Störungen, Essstörungen (v.a.
Bulimie) und schizophrene Psychosen (Thomasius 2005). In der Adverse Childhood Experience
Study (ACE-Studie) wurden die Gründe für die zehn häufigsten Todesursachen u.a. die
Sucht an 17.000 Erwachsenen der amerikanischen Mittelschicht untersucht. Verglichen
wurden belastende Kindheitserfahrungen mit dem Gesundheitszustand von Erwachsenen.
Es zeigte sich, dass der süchtige Konsum von Nikotin, Alkohol und i.v. Konsum proportional
zu dem Ausmaß der belastenden Kindheitserfahrungen steht (Felitti 2003). Ein Großteil
der drogenmissbrauchenden Jugendlichen stellt den Drogenmissbrauch nach einer Zeit
des Experimentierens und Ausprobierens wieder ein (ca. 90%). Treffen früher Drogenmissbrauch
und belastende Kindheitserfahrungen zusammen, hat man es mit einer Hochrisikogruppe
zu tun, die droht in einen anhaltenden Drogenmissbrauch und Abhängigkeit überzugehen
(Thomasius 2005).
Behandlung:
Die Schnittstellenproblematik der herkömmlichen Drogenhilfe ist mit einer hohen Rückfallquote
belastet. Früh traumatisierte Jugendliche erleben hier wiederholte Beziehungsbrüche,
wie sie dies aus ihrer Lebensgeschichte kennen. Auf der Therapiestation Teen Spirit
Island haben wir ein Konzept entwickelt, mit maximaler Beziehungskonstanz, von der
Aufnahmephase (Entzug und Motivationsarbeit) über die Behandlung der zugrundeliegenden
Störung und Aufarbeiten der Lebensgeschichte, bis zur Jugendhilfe und integrierter
Nachsorge. Gerade früh traumatisierte Jugendliche bedürfen dieser Anbindung an ein
beständiges, konstantes Beziehungsangebot. Um längerfristig ohne Drogen leben zu können,
ist eine Behandlung der Grundstörung notwendig. In einem zweiphasigen Behandlungsangebot,
bieten wir neben der qualifizierten Entgiftung eine längerfristige kinder- und jugendpsychiatrische
/ psychotherapeutische Therapie an. Wir arbeiten in enger Kooperation mit einer Drogenberatungsstelle
und einer Jugendhilfeeinrichtung, so dass wir eine hohe Beziehungskonstanz von der
ambulanten Phase, über die stationäre Therapie, bis zur ambulanten und stationären
Nachbetreuung anbieten können (Möller 2003). Allgemeine Therapieziele sind, das Schaffen
von „Räumen der Entfaltung“ und eine „Ich-Ziel-Verankerung“ beim Jugendlichen zu fördern.
Sichere Orte und ausreichend haltende Beziehungen zu entwickeln, sind die ersten Schritte
in der stationären Psychotherapie. Die Station ist der Ort, wo nach Bedingungen gesucht
wird, die helfen aus Spannungszuständen herauszufinden, Ich-Fähigkeiten zu entwickeln
und zu trainieren. Es sollen Kompetenzen entwickelt werden, Symbolisierungsfähigkeiten
geschaffen und Sprache statt Handeln verwendet werden. Auf der Station sollten deeskalations-,
stabilisierungs- und ressourcenorientierte Interventionen im Vordergrund stehen.
Literatur:
Felitti V. (2003) Ursprünge des Suchtverhaltens: Evidenz aus einer Studie zu den belastenden
Kindheitserfahrungen. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat.; 52: 547–559
Möller C. (2003) JUGEND SUCHT, Ehemals Drogenabhängige erzählen. Gesundheitspflege
initiativ, Esslingen
Streek-Fischer A. (2005) Adoleszenz – Delinquenz, Drogenmissbrauch In: Möller C. (Hrsg.)
Drogenmissbrauch im Jugendalter. Van & Hoeck Ruprecht, Göttingen: 166–185
Thomasius R. (2005) Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen. In: Möller C. (Hrsg.) Drogenmissrauch
im Jugenalter. Van & Hoeck Ruprecht, Göttingen: 13–36.