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DOI: 10.1055/s-2005-923397
Therapieentscheidungen beim Zervixkarzinom – S2-Leitlinie
Die Therapiemöglichkeiten für Patientinnen mit Zervixkarzinom umfassen zwei grundsätzliche Ansätze: die Operation und die Radio-(Chemo-)Therapie. Für die Operation bestehen die Kombinationsoptionen der neoadjuvanten Chemotherapie beziehungsweise Radio-Chemo-Therapie, oder die postoperativen Radio-Chemo-Therapie, Radiotherapie oder Chemotherapie. Für die Radio-(Chemo-)Therapie besteht die Möglichkeit des kombinierten Einsatzes der neoadjuvanten Chemotherapie und Radiotherapie, der alleinigen Radiotherapie, der Radio-Chemo-Therapie beziehungsweise der Radio-Chemo-Therapie plus Chemotherapie. Zu den verschiedenen Therapieoptionen ist die Datenlage nicht immer einheitlich und umfassend, sodass nicht alle Kombinationen erwogen werden sollten.
Die Entscheidung über die adäquate primäre Therapiemodalität erfolgt interdisziplinär unter Einbeziehung der gynäkologischen Onkologie, der Strahlentherapie, der Anästhesie und der Pathologie. Die Diskussion sollte die Kurz- und Langzeitfolgen der verschiedenen Therapiemöglichkeiten miteinschließen. Die Entscheidung ist individuell und gemeinsam mit der Patientin zu treffen. Berücksichtigt werden müssen der Allgemeinzustand und die Lebenssituation der Patientin sowie das Stadium der Erkrankung und die Risikofaktoren. Vorschläge zu den verschiedenen Situationen wurden in der S2-Leitlinie erarbeitet. Die Entscheidung darüber, ob dem Vorgehen einer Leitlinie gefolgt werden kann oder soll, muss von den behandelnden Ärzten unter Berücksichtigung der vorliegenden Gegebenheiten und der verfügbaren Ressourcen getroffen werden.
In den Frühstadien der Tumorerkrankung und insbesondere bei prämenopausalen Patientinnen wird die Operation favorisiert. Die Operationstechniken sind stadienabhängig modifizierbar. Operation und Radiotherapie beziehungsweise simultane Radio-Chemo-Therapie führen in den Stadien IB und II zu gleichwertigen Langzeitergebnissen bei unterschiedlichem Nebenwirkungsprofil der Therapien und Rezidivmuster. Im Stadium III besteht die Indikation zur primären Radiotherapie vorzugsweise in Form einer simultanen Radio-Chemo-Therapie. Die Therapiewahl im Stadium IV orientiert sich an der Lebensqualität und -prognose der Patientin.
Der Entscheidung über die adäquate Therapie der Patientin und ihrer Erkrankungssituation entsprechend sollte primär eine exakte Beurteilung der Tumorausdehnung vorausgehen. Gemäß der Stadieneinteilung des Zervixkarzinoms nach Übereinkunft der International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) ist die Beurteilung der Ausdehnung im wesentlichen „klinisch diagnostisch“, die jedoch entscheidend von der klinischen Erfahrung des Untersuchers abhängig ist. Daneben stehen verschiedene technische Möglichkeiten, sowohl nicht invasive als auch invasive, zur Verfügung. Dabei erlauben jedoch nur die invasiven Methoden eine exakte Beurteilung der Tumorausdehnung. Ergebnisse bildgebender Untersuchungen oder etwa einer Staging-Laparoskopie/-Laparotomie sowie der intraoperative Befund werden zwar für die Stadieneinteilung bis heute noch nicht berücksichtigt, sind aber für die Therapieentscheidung und die Planung des Therapieausmaßes essenziell. Es sollte eine exakte Beurteilung der parametranen und der vesikouterinen Ausbreitung sowie der pelvinen und/oder paraaortalen Lymphknoten erfolgen. Die erhobenen Befunde werden je nach Ausdehnung der Erkrankung und dem sich anschließenden geplanten therapeutischen Vorgehen berücksichtigt.
Operative Behandlung
Die operativen Therapiemöglichkeiten umfassen:
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die Konisation beziehungsweise die einfache Hysterektomie,
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das operative Staging per Laparoskopie/Laparotomie mit Beurteilung der parametranen und der vesikouterinen Ausbreitung sowie der pelvinen und/oder paraaortalen Lymphknoten
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die radikale Trachelektomie bei Frühkarzinomen
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die abdominale Radikaloperation in der Klassifikation nach Rutledge-Piver
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die vaginale Radikaloperation (nach Schauta-Amreich)
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die Lymphadenektomie durch Laparotomie beziehungsweise vorzugsweise Laparoskopie der pelvinen und/oder paraaortalen Lymphknoten
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die primäre beziehungsweise sekundäre Exenteration mit kompletter Rekonstruktion.
Radiotherapie und Radio-Chemo-Therapie
Die primäre Radiotherapie oder Radio-Chemotherapie besteht in der Regel aus der Kombination einer intrakavitären Kontakt- mit einer perkutanen Hochvoltbestrahlung. Die Kombination der Radiotherapie mit einer gleichzeitigen Cisplatin-haltigen Chemotherapie zeigt eine deutliche Verbesserung der Heilungsergebnisse im Vergleich. Die Radiotherapie der paraaortalen Lymphknoten hat bei gesicherter Histologie (Operation oder interventionelle Radiologie) zu erfolgen. Die Kombination der Radiotherapie mit einer Chemotherapie zeigt eine deutliche Erhöhung der Nebenwirkungen. Eine postoperative Radiotherapie ist bei der Kombination folgender Risikofaktoren indiziert: inadäquate Lymphadenektomie, Befall des lymphovaskulären Raumes, großer Tumor und tiefe Stromainvasion. Bei zusätzlichen Risikofaktoren (ausgeprägter Befall der Lymphknoten oder der Parametrien, ausgeprägte Lymphangiosis, R1-Resektion) und fehlender Kontraindikation gegen die Gabe von Cisplatin sollte eine Radio-Chemo-Therapie mit Cisplatin vorgenommen werden.
Chemotherapie
Die Chemotherapie ist bei Plattenepithel- und bei Adenokarzinomen der Cervix uteri wirksam. In der Analyse der Neoadjuvant Chemotherapy for Cervical Cancer Metaanalysis Collaboration (NACCCMA) zeigte sich bezüglich des Einflusses auf das Gesamtüberleben, das Lokalrezidivrisiko und das metastasenfreie Überleben eine Abhängigkeit vom Intervall der applizierten Chemotherapie (CHT) (< 14-tägig) und der Cisplatindosis von > 25 mg/m2 ist. Eine kurative Wirkung der Chemotherapie bzw. einen Überlebensvorteil ist bisher nur in der Kombination mit einer gleichzeitigen Radiotherapie nachgewiesen.
Die Diagnostik und Therapie des primären Zervixkarzinoms haben sich im letzten Jahrzehnt deutlich gewandelt. Differenzierte Diagnosemethoden, die Integration des intraoperativen Befundes möglichst im Rahmen eines operativen Stagings und die Kombination der Radiotherapie mit Chemotherapeutika haben die Prognose der Patientinnen verbessert. Die Differenzierung der Therapie hat durch das operative Staging und die Reduktion des Ausmaßes von operativen Eingriffen, insbesondere in den Frühstadien, die Morbidität der Patientinnen bei verbesserten Rezidivquoten gesenkt. Die Kombination aus der operativen Therapie mit der adjuvanten Radiotherapie oder Radio-Chemotherapie ist mit einer Verbesserung des Überlebens verbunden, aber auch mit einer deutlichen Erhöhung der Morbidität. Hier gilt es künftig neue Präventions- und Therapiestrategien zu entwickeln, beziehungsweise die einzelnen Therapieverfahren oder deren Kombination differenzierter zu untersuchen. Ziel muss es sein, bei maximaler Lebensqualität das bestmöglichste Therapieergebnis zu erreichen.
Beckmann MW et al.: DKG/DGGG: S2-Leitlinien Diagnostik und Therapie des Zervixkarzinoms. Zuckschwerdt-Verlag. Darmstadt 2004.