ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2005; 114(10): 431
DOI: 10.1055/s-2005-922016
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kopf oder Zahl

Cornelia Gins
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Publication Date:
11 November 2005 (online)

Das kennen Sie doch sicherlich auch. Schon mit dem Weckerklingeln muss eine Entscheidung getroffen werden, nämlich die, aufzustehen. Ist dies schon schwer genug, entpuppt sich der Kleiderschrank, in dem merkwürdigerweise nie etwas zum Anziehen ist, sowie der Kühlschrank als nächste Entscheidungsfalle. Frühstück oder nicht, Bus oder Auto, Zahn ziehen oder nicht. Jede Minute, ja Sekunde treffen wir Entscheidungen.

Anbetracht dieses unglaublichen Stresses, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind, könnte der Wunsch aufkommen, tatsächlich einmal nichts entscheiden zu müssen. Einen Tag lang - wie wäre das? Alles auf sich zukommen lassen, alles einfach mal laufen zu lassen. Nichts hinterfragen. Münze werfen, Kopf oder Zahl, wäre die Devise. Kein Denken, keine Verantwortung, keine Fehler - herrlich. Müsli oder Spiegelei - Münze. Kopfpauschale oder Bürgerversicherung - Münze. Merkel oder Schröder - Münze.

Leider ist das unmöglich. Der Mensch ist nun mal ein Entscheidungen treffendes Wesen. Neben dem Lachen unterscheidet uns das von anderen Lebewesen. Entscheidungen bestimmen die Qualität unseres Lebens. Alles, was wir denken, fühlen und erwarten, ist das Ergebnis einer bewussten oder unbewussten Entscheidung. Unser Tun und Handeln ist also der Ausdruck eigener Entscheidungen, für die wir auch die alleinige Verantwortung zu tragen haben. Aber es umfasst noch mehr. Es geht nicht nur darum, sich so oder so zu entscheiden. Das Fatale ist, wir können uns nämlich nicht nicht entscheiden. Mit anderen Worten, wir können uns unser ganzes Leben dem Prozess des Entscheidens nicht entziehen. Das ist auf der einen Seite gut, da es schließlich die Freiheit eines jeden Individuums bedeutet. Allerdings kann sich der Entscheidungsprozess sehr vielfältig darstellen. Ich kann mich beispielsweise für 2 statt für eine Hose entscheiden. Ich kann aber nicht gleichzeitig traurig und glücklich sein, oder eine Wahl verlieren und Kanzler werden.

Nun, wir waren alle am 18. September aufgefordert worden, uns zu entscheiden. Das haben wir getan. Ein umfangreicher Farbkatalog von dunkelrot, rot, gelb, grün, schwarz über dunkelschwarz stand zur Auswahl. Jeder für sich hat sich entschieden. Fatalerweise hat die Summe der Entscheidungen keine Entscheidung gebracht. - Wer uns da wohl einen Streich gespielt hat? - Vielleicht wäre dieser Sonntag besser so ein Tag gewesen, an dem wir uns alle dafür entschieden hätten, keine Entscheidungen zu treffen, sondern eine Münze zu werfen.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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