Gesundheitswesen 2005; 67 - VF_V24
DOI: 10.1055/s-2005-920656

Angehörige von Suchtkranken – Die vergessene Mehrheit?

U Kemper 1
  • 1Zentrum für Suchtmedizin, Westfälische Klinik

Hintergrund/Ziele und Forschungsfragen: Die Beschäftigung mit der therapeutischen Unterstützung von Angehörigen Abhängigkeitskranker hat in Deutschland bisher nur im geringen Umfang stattgefunden. Ziel des Projektes ist es, bestehende Versorgungsstrategien zu beschreiben und neue Modelle der Beratung und Behandlung vorzustellen. Material und Methoden: In Deutschland leben ca. 3 Mio. Abhängigkeitskranke. Geht man von drei Angehörigen (Partner, Kinder, Eltern) aus, dann sind 9–10 Mio. Menschen von der Suchterkrankung eines nahe stehenden Menschen betroffen. Trotz zum Teil erheblicher psychischer und körperlicher Beeinträchtigungen werden nur wenig adäquate Hilfsstrukturen für diese Gruppe vorgehalten. Der in diesem Zusammenhang am häufigsten verwendete Begriff der „Co-Abhängigkeit“ ist nicht eindeutig definiert: Nach Morgan (1991) findet er Verwendung als didaktischer Begriff, als psychologisches Konstrukt oder als Bezeichnung einer psychischen Störung. Im Projekt wird der Versuch unternommen, die verschiedenen Facetten des Problemfeldes zu differenzieren. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf der Unterscheidung zwischen prämorbiden Persönlichkeitsfaktoren im Sinne einer comorbiden Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F60.7) und einer reaktiven Symptomatik im Sinne einer co-abhängigen Belastungsstörung (ICD 10: F43.2) liegen. Möglichkeiten der Differenzialdiagnostik werden ebenso thematisiert wie die Anforderungen an das Hilfesystem unter besonderer Berücksichtigung der Selbsthilfebewegung. Ergebnisse: Vorgestellt wird ein gemeinsames Pilotprojekt des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen und der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e. V.: „Co-Abhängigkeit erkennen – Angehörigen von Suchtkranken im Blickpunkt ärztlich-therapeutischen Handelns“ vom September 2002 bis April 2004. Schlussfolgerungen und Diskussion: Die Bedeutung der Beschäftigung mit Angehörigen von Abhängigkeitskranken im Hilfesystem soll diskutiert werden. Möglichkeiten der Primär- und Sekundärprävention sollen anhand der vorgestellten Praxisprojekte auf ihre praktische Relevanz und Übertragbarkeit geprüft werden. Der weitere notwendige Forschungsbedarf soll thematisiert werden