Pneumologie 2006; 60(2): 111-113
DOI: 10.1055/s-2005-919157
Brennpunkt
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

CAPNETZ: Das Kompetenznetzwerk der ambulant erworbenen Pneumonie in Deutschland

CAPNETZ: Competence Network for Community Acquired Pneumonia in GermanyT.  Bauer1
  • 1HELIOS Klinikum Emil von Behring, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie Heckeshorn, Klinik für Pneumologie, Berlin
Für die Sektion Infektiologie und Tuberkulose der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) und für das Kompetenznetzwerk ambulant erworbene Pneumonie (CAPNETZ) gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF 01KI0103 - 105).
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Publication Date:
07 February 2006 (online)

Zuverlässige Daten zur Inzidenz der ambulant erworbenen Pneumonie (engl. community acquired pneumonia, CAP) liegen für Deutschland nicht vor, da keine Zahlen über ambulant behandelte Patienten mit dieser Erkrankung verfügbar sind. Im stationären Bereich wurden nach Angaben des statistischen Bundesamtes etwa 250 000 Patienten mit dieser Diagnose betreut, wobei über die Jahre ein Anstieg der Pneumonieinzidenz um 3 - 5 % pro Jahr zu beobachten ist [1]. Hauptgrund hierfür dürfte die veränderte Demografie der Gesellschaft mit einer Zunahme älterer, multimorbider Patienten sein. Die Inzidenz in Deutschland dürfte aber in etwa der in den USA entsprechen. Hier erkranken vier Millionen Erwachsene jährlich an ambulant erworbener Pneumonie, ca. 20 % davon müssen stationär behandelt werden. Die CAP verursacht in den USA jährlich Kosten von ca. 9,7 Milliarden Dollar. Die Inzidenz beträgt etwa 8 - 15 pro 1000 Personen pro Jahr, während der Wintermonate ist sie deutlich erhöht. Aufgrund der medizinischen und ökonomischen Bedeutung von CAP fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2001 im Rahmen der Kompetenznetzwerke in der Medizin ein Netzwerk zur ambulant erworbenen Pneumonie (CAPNETZ) [2].

Die meisten der bisher vom BMBF geförderten Netzwerke beschäftigen sich mit Krankheiten, für die es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Experten gibt, für die es spezialisierte Abteilungen an Kliniken der Maximalversorgung gibt, oder bei denen die Patienten in der Regel stationär behandelt werden (www.kompetenznetze.de). Solche Voraussetzungen in der Infrastruktur erleichtern dementsprechend den Aufbau von Netzwerken. CAP ist im Gegensatz dazu eine Infektionskrankheit, die in erster Linie vom Hausarzt gesehen und behandelt wird. Wahrscheinlich wird nur eine Minderzahl der Patienten letztendlich in der Klinik stationär betreut. CAPNETZ verbindet klinische, mikrobiologische und Grundlagenforschungsaspekte miteinander, um einerseits neue Erkenntnisse über die Pathogenese und insbesondere die Interaktion von Erregern und Wirt zu erhalten und andererseits einen besseren Einblick in die spezifische deutsche Epidemiologie, Ätiologie und Versorgungsrealität in diesem Feld zu erhalten. Eine weitere Aufgabe von CAPNETZ ist es, Fachwissen zur ambulant erworbenen Pneumonie aus den verschiedensten medizinischen Bereichen zusammenzutragen, die unterschiedlichen Gruppen zu vernetzen und Synergien zu fördern. Hier arbeiten niedergelassene Ärzte, Krankenhausärzte, Mikrobiologen, Virologen, Epidemiologen, Computerexperten und IT-Spezialisten in enger Kooperation zusammen. Alle klinischen und mikrobiologischen Daten werden zusammengeführt und in einer zentralen Material- sowie Informationsdatenbank in Ulm verwaltet. Die Ziele, die CAPNETZ langfristig verfolgt, werden die Versorgungsqualität von Patienten mit CAP erhöhen.

Durch die finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden die Zentren der Forschung und Krankenversorgung miteinander vernetzt („vertikale Vernetzung”) und Verbindungen zu niedergelassenen Ärzten und lokalen Projektgruppen sowie den Patienten geschaffen („horizontale Vernetzung”). Die in den Schwerpunktzentren vorhandenen Forschungsmöglichkeiten, die Informationstechnologien des Netzwerkes sowie die Datenbanken können so von allen Netzteilnehmern genutzt werden. In seiner aktuellen Form umfasst das Netzwerk acht klinischen Zentren mit einer repräsentativen Zahl aller Versorgungsstufen, in denen Untersuchungen und Therapien im Rahmen der klinischen Pneumologie angeboten und durchgeführt werden können. Mit diesen lokalen Zentren kooperieren insgesamt etwa 670 niedergelassene Allgemeinärzte, Internisten und Pneumologen und mehr als 30 Krankenhäuser. Konsiliarlaboratorien für CAP-relevante Erreger an den Universitäten sowie die Nationalen Referenzzentren für Influenza (Robert Koch-Institut Berlin) bzw. Streptokokken (RWTH Aachen). Koordiniert wird die Arbeit von einem dreiköpfigen wissenschaftlichen Gremium: Prof. Dr. Norbert Suttorp von der Charité als Sprecher, Prof. Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover und von Prof. Dr. Reinhard Marre von der Universität Ulm. In Ulm befindet sich auch die Geschäftsstelle von CAPNETZ, die von Dr. Klaus Richter geleitet wird (info@capnetz.de) und die als Zentrale Serviceeinheit die Bereiche Verwaltung, Qualitätssicherung, Aus- und Weiterbildung sowie Kommunikation bündelt.

Die ambulant erworbene Pneumonie ist die wichtigste Infektionskrankheit in Deutschland. Das Kompetenznetzwerk CAPNETZ legt nach drei Jahren Laufzeit auf der Basis von mehr als 3500 prospektiv verfolgten Patienten zuverlässige Zahlen zu Epidemiologie, Ätiologie und Verlauf dieser Erkrankung vor. Die eingeschlossenen Patienten sind zum überwiegenden Teil stationär behandelt worden (72 %) und die Letalität bei den stationär behandelten Patienten war mit < 10 % vergleichbar dem Durchschnitt anderer nationalen und internationalen Studien [3] [4] [5] [6]. Außerhalb des Krankenhauses des Krankenhauses war die Letalität mit 0,5 % erfreulich niedrig. Strukturiert erhobenen Daten gab es außerhalb des Krankenhaus nur sehr wenige und es mag den Anschein haben als ob sich die Letalität allein durch die Krankenhauseinweisung erhöht. Dies ist sicher eine beliebte Sichtweise unter Patienten, die im Allgemeinen nicht gerne in das Krankenhaus eingewiesen werden. Die genaue Analyse der Daten zeigte aber, dass die Tatsache der Einweisung auch immer mit einem höheren Schweregrad dieser akuten Erkrankung verbunden war (z. B. nach CRB-65 Kriterien) [7]. Dies sollte dazu führen, dass die Patienten unseren verbundenen Haus- und Fachärzte noch mehr vertrauen können, als sie dies bereits im Vorfeld getan haben, da wir davon ausgehen, dass die Kollegen einen potenziell gefährlichen Verlauf der Erkrankung erkennen und die Patienten rechtzeitig einweisen. So empfehlen die neuen Leitlinien der Europäischen Fachgesellschaft eine stationäre Einweisung der Patienten erst ab dem Vorliegen von zwei oder mehr Schweregradkriterien nach dem CRB-65 System [8]. Nach den CAPNETZ-Daten wissen wir heute, das dies zu einem deutlichen Anstieg der Letalität bei ambulanten Patienten führen würde, die aber nicht notwendigerweise kausal sein wird. Bei knapper werdenden Kassen im Gesundheitssystem bittet die Datenbank von CAPNETZ die Möglichkeit, solche Szenarien zumindest theoretisch durchzuspielen.

Trotz dieser interessanten Ergebnisse und der gelungenen Vernetzung, bleibt die vertikale Vernetzung von Klinik und Praxis etwas hinter den Erwartungen zurück. Die Gründe hierfür sind so einfach wie nachvollziehbar. Die lokalen und überregionalen Arbeitsgruppen haben gewachsene Kommunikationsstrukturen und verfolgen gemeinsame Interessen im Sinne der Forschung, die Teil ihrer Aufgaben ist. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Synchronisierung der Interessen zwischen Klinikärzten und niedergelassenen Kollegen. Durch den hohen finanziellen und damit auch zeitlichen Druck in den Praxen erfordert die Teilnahme an CAPNETZ trotz einer gewissen finanziellen Kompensation große Bereitschaft, den eingespielten Arbeitsablauf durch externe Anspruche stören zu lassen. Zwar gibt es verschiedene Modelle, in denen der niedergelassene Arzt keine bis sämtliche Arbeiten an das CAPNETZ-Team delegieren kann, es bleibt aber ein zusätzlicher Aufwand. So sind die Vorteile dieser engen Zusammenarbeit zwischen Klinik und niedergelassenen Kollegen zumeist nicht materieller Natur. Entscheidend sind vielmehr der persönliche Kontakt und der „kurze Draht” in die Klinik, der dann auch in anderen Fällen genutzt werden kann. Es muss somit an dieser Stelle allen CAPNETZ-Beteiligten in Klinik und Praxis gedankt werden, die es durch Ihren persönlichen Einsatz geschafft haben, Daten von fast 1000 Patienten mit CAP zu sammeln, die nie in einer Klinik betreut wurden. Von all diesen Patienten liegt ein Röntgenbild zur Dokumentation der Infiltrate vor, existieren Labor- und Klinische Daten, eine einmalige Studie, die es in dieser Größenordnung bisher nicht gegeben hat.

Für die Kollegen, die dem Netzwerk bisher nicht oder nicht so intensiv verbunden waren, sind diese Ergebnisse in die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Paul-Ehrlich Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie eingeflossen. Die Förderung und Fertigstellung dieser Leitlinien waren ein wesentlicher Schwerpunkt des Netzwerkes im Jahr 2005. Die Leitliniengenerierung stand unter Aufsicht der Arbeitsgemeinschaft medizinischer wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) und wurde im Volltext bereits in mehreren Fachjournalen publiziert [9] [10], eine Kurzversion ist als Kitteltaschenbuch (ISBN 3-13-133 711-7) erhältlich [11].

Nach zahlreichen und überregionalen wissenschaftlichen und organisatorischen Treffen fand am 20. und 21. Januar 2006 erstmals das internationale CAPNETZ-Symposium in Berlin statt, um die Ergebnisse und Probleme mit internationalen Kollegen besprechen und lösen zu können (http://www.capnetz.de/symposium-2006). Die in diesem Heft der Pneumologie abgedruckten Abstrakts zeigen das weite Spektrum der Forschung im Bereich der ambulant erworbenen Pneumonie und dokumentieren gleichzeitig die zukünftige Richtung der Forschung. Das Kompetenznetzwerk zur ambulant erworbenen Pneumonie hat unter Beweis gestellt, dass die Kooperation im Bereich der pneumologischen Infektiologie in Deutschland funktioniert, aber das größte Stück des Weges liegt noch in der Zukunft. Mit mehr als 3500 auswertbaren Fällen und mehr als 300 Variablen pro Fall ist die konzertierte Auswertung der Daten die Herausforderung für die Zukunft. CAPNETZ bleibt somit auch in 2006 und wahrscheinlich auch noch lange darüber hinaus ein Schwerpunkt der Sektion Infektiologie und Tuberkulose in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und ihrer Mitglieder.

Literatur

  • 1 Statistisches Bundesamt .Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und -patienten 2002. 6.2 ed. 2004
  • 2 Welte T, Marre R, Suttorp N. CAPNetz - Kompetenznetzwerk ambulant erworbene Pneumonie: Strukturen und Ziele.  Pneumologie. 2003;  57 (1) 34-41
  • 3 Richeldi L, Guglielmo M D, Fabbri L M. et al . Management of CAP using a validated risk score.  Thorax. 2005 Feb 1;  60 (2) 172-173
  • 4 Marrie T J, Wu L. Factors Influencing In-hospital Mortality in Community-Acquired Pneumonia: A Prospective Study of Patients Not Initially Admitted to the ICU.  Chest. 2005 Apr 1;  127 (4) 1260-1270
  • 5 Kaplan V, Clermont G, Griffin M F. et al . Pneumonia: Still the Old Man's Friend?.  Arch Intern Med. 2003 Feb 10;  163 (3) 317-323
  • 6 Lim W S, Eerden M M van der, Laing R. et al . Defining community acquired pneumonia severity on presentation to hospital: an international derivation and validation study.  Thorax. 2003 May 1;  58 (5) 377-382
  • 7 Macfarlane J T, Boswell T C, Douglas J G. et al .BTS guidelines for the managementcommunity acquired pneumonia in adults - 2004 update. 30-4-2004 Ref Type: Pamphlet
  • 8 Woodhead M, Blasi F, Ewig S. et al . Guidelines for the management of adult lower respiratory tract infections.  European Respiratory Journal. 2005 Dec 1;  26 (6) 1138-1180
  • 9 Höffken G, Lorenz J, Kern W. et al . S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und vom Kompetenznetzwerk CAPNETZ zu Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobieller Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen (akute Bronchitis, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis, Influenza und andere respiratorische Virusinfektionen) sowie ambulant erworbener Pneumonie.  Pneumologie. 2005;  59 (9) 612-664
  • 10 Höffken G, Lorenz J, Kern W. et al . S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und vom Kompetenznetzwerk CAPNETZ zu Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobieller Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen (akute Bronchitis, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis, Influenza und andere respiratorische Virusinfektionen) sowie ambulant erworbener Pneumonie.  Chemotherapie J. 2005;  14 97-155
  • 11 Höffken G, Lorenz J, Kern W. et al .S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und vom Kompetenznetzwerk CAPNETZ zu Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobieller Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen (akute Bronchitis, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis, Influenza und andere respiratorische Virusinfektionen) sowie ambulant erworbener Pneumonie. Stuttgart: Thieme 2005

PD Dr. med. Torsten Bauer

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