Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73 - A53
DOI: 10.1055/s-2005-918139

Pränataldiagnostik – Psychische Auswirkungen und Beratungsbedarf bei pathologischem Befund

A Dorn 1, C Woopen 2, A Rohde 1
  • 1Gynäkologische Psychosomatik, Universitätsfrauenklinik Bonn
  • 2Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Köln

Einleitung: Seit Januar 2003 wird das Modellprojekt „Psychosoziale Beratung vor, während und nach Pränataldiagnostik“ an den Standorten Bonn, Düsseldorf und Essen wissenschaftlich begleitet. Patientinnen, die im Rahmen der Pränataldiagnostik eine psychosoziale Beratung in Anspruch genommen haben, werden prospektiv untersucht. Bis 30.06.05 konnten 449 Frauen bzw. Paare in die Studie aufgenommen werden. Nach PND und psychosozialer Beratung entschieden sich 66% der Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch, bei fast 9% wurde eine Mehrlingsreduktion durchgeführt. Gut 22% entschieden sich trotz fetaler Fehlbildungen für das Austragen des Kindes. In den restlichen Fällen fand die Beratung vor PND statt.

Methode: Die Patientinnen werden zu fünf Zeitpunkten nach der Beratung per Fragebögen und Testdiagnostik nachbefragt. Zudem wird eine Beratungsdokumentation durch die Beraterinnen und eine PND-Dokumentation vom ärztlichen Personal erstellt. Inhaltlich wird z.B. das psychische Befinden der betroffenen Frauen, die Langzeitauswirkung der Beratung und insbesondere die Verarbeitung des Erlebten erfasst. Auch die Einstellung zur PND und zu den getroffenen Entscheidungen wird prospektiv erhoben.

Ergebnisse: Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass sich viele Frauen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung in einer Schocksituation i.S. einer Akuten Belastungsreaktion befinden. Die psychosoziale Beratung wird in dieser Situation als sehr hilfreich und positiv erlebt (82%). Die ergebnisoffene Beratung hatte für jede 4. Frau einen Einfluss auf ihre Entscheidung bzw. auf die Sicherheit ihrer Entscheidung. Die bisher vorliegenden Ergebnisse zeigen, wie sehr das Ereignis der PND und die Entscheidungen sich nachhaltig auswirken. Noch ein Jahr nach PND geben über 90% der bisher dazu befragten Patientinnen Symptome an wie innere Gefühllosigkeit und Schuldgefühle. Nur 54% der Frauen war sich nach 6 Monaten absolut sicher, die gleiche Entscheidung nochmals fällen zu würden. Vor allem Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch zeigten eine gewisse Unsicherheit. Fast alle Frauen würden anderen Paaren eine psychosoziale Beratung nach, aber auch vor PND empfehlen.

Schlussfolgerung: Es besteht kein Zweifel daran, dass eine psychosoziale Beratung zur „Routinebehandlung“ in der Pränataldiagnostik gehören sollte, sobald ein pathologischer Befund diagnostiziert wird. Der Befund einer fetalen Anomalie stellt ein kritisches Lebensereignis dar, das in vielen Fällen auch einen längerfristigen Betreuungsbedarf nach sich zieht, mit dem dann Gynäkologen, aber auch Psychiater und Psychotherapeuten konfrontiert werden. Nur ein gutes Hintergrundwissen über die speziellen Belastungen dieser Frauen kann eine effektive Weiterbehandlung sichern. Mit erhöhter Sensibilität sollte auf diese Erlebnisse in der Anamnese geachtet werden. Meist wird es von den Betroffenen als entlastend erlebt, wenn ihre Unsicherheiten und Schuldgefühle im einfühlsamen Gespräch offen angesprochen werden.