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DOI: 10.1055/s-2005-918118
Brauchen Säuglinge Psychiater? – Störungen der Bindung und frühkindliches Verhalten
Zielsetzung: Die Probleme und Möglichkeiten der diagnostischen Klassifikation von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern von 0–5 Jahren werden beschrieben. Der Zusammenhang mit dem frühkindlichen Bindungs- und Interaktionsverhalten wird empirisch evaluiert. Veränderungen im Patientenaufkommen nach Einrichtung einer kinderpsychiatrischen „Baby- und Kleinkindsprechstunde“ im Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité werden aufgezeigt.
Methode: Die Basisdokumentation der Inanspruchnahmepopulation im Alter von 0–5 Jahren seit Juni 2000 wird ausgewertet. Es erfolgt eine vergleichende Zuordnung in den Klassifikationssystemen ICD 10 und ZTT (Zero-To-Three, Diagnostische Klassifikation von 0–3 Jahren) und ein Vergleich mit Daten, die vor Einführung der Spezialsprechstunde erhoben wurden. Die Daten der Eltern-Kind-Interaktionsbeobachtung werden analysiert und auf Korrelation mit der diagnostischen Klassifikation überprüft.
Ergebnisse: Nach ersten Auswertungen gelingt eine korrekte Klassifikation nach den Kriterien der ICD-10 nur unzureichend und wird durch die Anwendung der ZTT erleichtert.
Es finden sich störungsspezifische Merkmale in der standardisierten, videogestützten Interaktionsbeobachtung. Im Gruppenvergleich vor und nach Einführung einer Spezialsprechstunde sinkt das Durchschnittsalter von 2.9 auf 1,3 Jahre. Der Anteil der Kinder, die eine Achse-1-Diagnose erhalten, steigt von 57% auf 93%.
Diskussion: Das diagnostische Spektrum einer kinder- und jugendpsychiatrischen Baby- und Kleinkindsprechstunde, ihre Klassifikationsprobleme sowie die Notwendigkeit einer altersspezifischen Ergänzung der Diagnostik werden dargestellt. Videogestützte Interaktionsbeobachtung unterstützt die Differenzierung in der Diagnostik. Schwerwiegende Verläufe mit hohem Krankheitswert und mit bizarrer, desorganisierter frühkindlicher Beziehungsgestaltung sollen in Spezialeinrichtungen behandelt werden.