Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A71
DOI: 10.1055/s-2005-917928

Die exemplarische Anwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) in der Ergotherapie

K von Garnier 1, H Limm 1, T Ewert 1, G Stucki 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Ludwig-Maximilians-Universität München, München

Fragestellung: Ergotherapeuten (ETs) fördern Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Klienten durch sinnvolle Betätigung. Ihr Hauptziel ist es, erkrankten Menschen mit Einschränkungen in den Bereichen Körperstrukturen und -Funktionen, Aktivitäten und Partizipation zu einer möglichst selbständigen Teilhabe im täglichen Leben zu verhelfen [1]. Hierzu arbeiten sie interdisziplinär. Doch selbst untereinander sprechen ETs häufig -je nach Einsatzbereich, konzeptionellem Praxismodell und Bezugsrahmen, welche sie nutzen- eine unterschiedliche Sprache.

Die Einführung der ICF als gemeinsamer Sprache zur Beschreibung der menschlichen Funktionsfähigkeit und als Basis multiprofessioneller Befundung, Zielsetzung, Interventionsmanagements und Evaluation wird voraussichtlich sowohl die Kommunikation von Health Professionals untereinander als auch mit ihren Klienten verbessern [2], wie auch die Ausbildung der Health Professionals [3]. ETs müssen sich weltweit der Herausforderung stellen, die ICF in ihre Arbeit zu integrieren, um den Veränderungen im Gesundheitswesen Rechnung zu tragen. Der Vortrag geht auf die Anwendbarkeit der ICF und ihren Wert für ergotherapeutische Arbeit anhand eines Fallbeispieles ein.

Methode: Um die funktionale Gesundheit des Klienten in allen ICF Kategorien befunden, vordringliche Rehabilitationsziele fokussieren, Behinderungen auf relevante Mediatorvariablen zurückführen und klientenzentriert arbeiten zu können, wird das Fallbeispiel anhand des ICF-Modellblattes [2] vorgestellt. Es zeigt die Perspektive des Klienten und der Health Professionals sowie mögliche Interaktionen zwischen den Kategorien auf und dient so als Plattform zur Entscheidungsfindung bezüglich Zielpriorisierung und Verantwortlichkeiten, indem es die Dokumentation erleichtert und multidisziplinäres Wissen bündelt und strukturiert.

Seine Anwendung in der klinischen Praxis wird anhand eines Fallbeispieles einer Klientin mit Spinalkanalstenose und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen verdeutlicht.

Ergebnis: Die ICF kann in der Ergotherapie (ET) sowohl im Bereich der klinischen Praxis (z.B. Befundung) als auch in der Wissenschaft und Forschung (u.a. Entwicklung von Assessmentinstrumenten) wie auch im Management (z.B. Qualitätssicherung) und der Ausbildung (u.a. Curriculumsentwicklung) angewandt werden. Bei der Implementierung des ICF-Modellblattes können sowohl organisatorische als auch professionsbezogene Widerstände auftreten.

Diskussion: Das holistische biopsychosoziale Modell der ICF kann ETs als vereinheitlichender Bezugsrahmen dienen. Die Anwendung der ICF vermag die Qualität interdisziplinärer klinischer Praxis, Ausbildung und Forschung zu verbessern [4]. Eine Missachtung der ICF unter ausschließlicher Nutzung einer eigenen Terminologie könnte zu einer Isolierung der ET führen, wohingegen eine Integration der ICF zu einer bereichernden Brückenbildung zu anderen Berufsgruppen führen könnte. Dennoch sollte die ICF nicht unreflektiert integriert werden, um nicht Gefahr zu laufen, die professionelle Sprache und das spezifische über Dekaden gewachsene ergotherapeutische Wissen zu verlieren.

Literatur:

1 The World Federation of Occupational Therapists http://www.wfot.org.au/WFOT_information/default.cfm [19.04.05]

2 Steiner WA, Ryser L, Huber E, Uebelhart D, Aeschlimann A, Stucki G. Use of the ICF Model as a Clinical Problem-Solving Tool in Physical Therapy and Rehabilitation Medicine. Physical Therapy, Vol. 82, No.11: 1098–1107, 2002

3 Stucki G, Ewert T. How to assess the impact of arthritis on the individual patient: the WHO ICF. Annals of the Rheumatic Diseases, in press

4 Rentsch HP, Bucher P, Dommen Nyffeler I, Wolf C, Hefti H, Fluri E, Wenger U, Wälti C, Boyer I.: The implementation of the 'International Classification of Functioning, Disability and health' (ICF) in daily practice of neurorehabilitation: an interdisciplinary project at the Kantonsspital of Lucerne, Switzerland. Disability and Rehabilitation, vol. 25, No. 8: 411–421, 2003