Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(7/08): B 362
DOI: 10.1055/s-2005-915490
Klaus Schmidt
Praxismanagement
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Hoher Standard des Gesundheitswesens

SachverständigenratKlaus Schmidt
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Publication Date:
16 August 2005 (online)

Viel Lob erntet das Gesundheitssystem im jüngsten Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Dennoch sehen die Gesundheitswesen auch bestehende Mängel sowie vielfältigen Rationalisierungsbedarf.

Auch aus internationaler Perspektive bietet das deutsche Gesundheitswesen für alle Bürger ein nahezu flächendeckendes Angebot an Gesundheitsleistungen und einen hohen Versorgungsstand, stellte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Eberhard Wille, in Berlin fest. Der Mannheimer Ökonom erläuterte gemeinsam mit Rats-Mitglied Prof. Gisela Ch. Fischer, em. Ordinaria für Allgemeinmedizin an der Med. Hochschule Hannover, auf einer Veranstaltung des Bundesverbands Managed Care (BVMC) die wichtigsten Punkte in dem 760 Seiten starken Gutachten.

Die gesetzliche Krankenversicherung bietet einen umfangreichen Leistungskatalog bei guter Erreichbarkeit und konfrontiert die Patienten kaum mit Rationierungen, etwa Warteschlangen wie in England oder den Niederlanden. Doch ungeachtet aller Vorzüge birgt die bestehende Über-, Unter- und Fehlversorgung ein großes Potenzial zur Erhöhung von Effizienz und Effektivität. Das bedeutet laut Wille, dass sich die derzeitigen gesundheitlichen Outcomes auch mit einem geringeren Ressourceneinsatz beziehungsweise mit den eingesetzten Mitteln ein höheres Outcome-Niveau erreichen ließe.

Qualitätsmängel beruhen vor allem auf Koordinationsdefiziten

Die vorhandenen Qualitätsmängel beruhen aus Sicht des Rates vor allem auf Koordinationsdefiziten, die mit mangelnder Transparenz, unzureichendem Wettbewerb und inadäquaten Anreizsystemen einhergehen. Eine Ursache der Mängel sehen die Experten in den korporativen Strukturen, die vor allem im Gesundheitswesen herrschen. Ein Musterbeispiel dafür ist die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen und als „Super-Korporation” der Gemeinsame Bundesausschuss. Was Ex-Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer mit der „Vorfahrt für die Selbstverwaltung” eingeleitet hat, ist für Wille nichts anderes als der Ruf nach mehr Korporation. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Verhandlungsprozesse in der korporativen Koordination sehr mühsam und langwierig ablaufen. Deswegen sind die Körperschaften auf den Prüfstand gestellt worden, was im Ruf nach Abschaffung der KVen gipfelte.

Dem will sich der Rat nicht anschließen. Gäbe es keine KV mehr, erläuterte Wille, dann würden sich die Ärzte zu privaten Verbänden zusammenschließen und mit den Krankenkassen verhandeln. Der Ökonom möchte die schwerfälligen Körperschaften mit mehr Wettbewerb konfrontieren. Die Inflexibilität der korporativen Koordination sollte durch dezentrale Wettbewerbsprozesse in Form von selektiven Vertragsverhandlungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern aufgebrochen werden. Wille denkt hier besonders an einen Qualitätswettbewerb im Rahmen der integrierten Versorgung.

Die selektiven Verträge können andere Versorgungsformen, höhere Qualitätsstandards und abweichende Vergütungsformen vorsehen. Den Leistungserbringern steht es zwar frei, im „kollektiven Rahmen” zu bleiben, doch könnte das mit der Zeit finanzielle Einbußen mit sich bringen. Die durch dezentrale Wettbewerbsprozesse entstandenen Versorgungsnetze stehen sowohl untereinander als auch mit dem kollektivvertraglichen System in Wettbewerb. Die Versorgungsqualität sollte darüber entscheiden, wie zügig ihr Anteil an der Versorgung wächst.

Mehr Anreize für präventive Ausrichtung der Versorgung

Erstmals hat sich der Sachverständigenrat mit dem sozioökonomischen Status und seinem Einfluss auf die Verteilung von Morbidität, Mortalität und Risikofaktoren befasst. Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, das heißt mit einer niedrigen Bildung, einem niedrigen beruflichen Status und/oder einem niedrigen Einkommen weisen überproportional häufig einen beeinträchtigten Gesundheitszustand und eine geringere Lebenserwartung auf als Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status.

Ein beachtlicher Teil der Verbesserung des Gesundheitszustands und der Verlängerung der Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert geht weniger auf medizinisch-kurative Innovationen als auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungen sowie Umwelt-, Ernährungs-, Hygiene- und Bildungsfortschritte zurück. Somit erhalten für eine Primärprävention neben der eigentlichen Gesundheitspolitik verschiedene andere Politikfelder eine große Bedeutung: Arbeitsmarktpolitik, Schulpolitik, Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, sowie Umweltpolitik.

Eine präventive Ausrichtung der Versorgung setzt laut Fischer aber auch einige wesentliche Instrumente voraus. Dazu zählt sie bessere Anreize für die Leistungserbringer. Die kommunikations-intensiven Leistungen in der Prävention müssen angemessen honoriert werden und Überbürokratie muss abgebaut werden.

Dem Arzt muss die Verantwortung für das Gesundheitsergebnis erteilt werden sowie die Überleistungsverantwortung, dass der Patient zum richtigen Zeitpunkt die richtig informierte, richtig gewählte Institution erreicht.

Klaus Schmidt

Planegg

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