Klin Padiatr 2005; 217(6): 371-373
DOI: 10.1055/s-2005-872545
Berichte der GPOH

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Dauer der Einlagerung autologer Blutstammzellprodukte von Kindern und Jugendlichen mit malignen Erkrankungen

Stellungnahme der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation (Päd-AG-KBT) und der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)Duration of Storage of Autologous Hematopoietic Stem Cell Products for Children and Adolescents with Malignant Diseases
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Publication Date:
24 November 2005 (online)

Die Hochdosistherapie mit anschließender Transplantation autologer Blutstammzellen hat sich in den letzten Jahren in der Pädiatrischen Hämatologie/Onkologie als festes Therapieelement für die Behandlung definierter Erkrankungen etabliert. Pro Jahr werden im deutschsprachigen Raum etwa 110 autologe Knochenmark-/Blutstammzelltransplantationen bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt (vgl. Jahresbericht 2001 des Pädiatrischen Registers für Stammzell-Transplantationen (PRST) [10]. Die häufigsten Indikationen sind hierbei das Neuroblastom und die Gruppe der Ewing-Tumoren.

Am Beispiel des Neuroblastoms wird deutlich, dass im Rahmen klinischer Studien in der pädiatrischen Hämatologie/Onkologie Erkenntnisse gewonnen werden, die auch ein so aufwendiges und kostenintensives Verfahren wie die autologe Blutstammzelltransplantation bei entsprechender Indikation rechtfertigen. Im Rahmen einer randomisierten Studie der Children's Cancer Group in den USA ist die Überlegenheit der Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation gegenüber einer konventionellen Chemotherapie für Kinder mit Hochrisiko-Neuroblastomen belegt worden [13]. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen ist in der deutschen Neuroblastomstudie NB97 (Studienleitung: Univ.-Prof. Dr. F. Berthold, Zentrum für Kinderonkologie und -hämatologie des Klinikums der Universität zu Köln) die Randomisierung zwischen einer konventionellen Erhaltungschemotherapie und der Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation bei Neuroblastom Stadium IV abgebrochen worden, als die Überlegenheit des Transplantationsarms mit 47 vs. 31 % 3 Jahre ereignisfreien Überlebens im November 2002 mit ausreichender Sicherheit belegt werden konnte (p = 0,0221; n = 275, Intent-to-treat-Analyse) [2].

Bei Kindern und Jugendlichen mit primär multifokalen bzw. rezidivierten Ewing-Tumoren führt die Hochdosistherapie mit Stammzellrescue zu einem EFS von 29 % (15 Jahre Beobachtungsdauer), so dass diese Therapiemodalität in dem zur Zeit aktiven Protokoll E.U.R.O. EWING 99 prospektiv randomisiert geprüft wird [4].

Pädiatrische Patienten mit rezidivierten hoch malignen Keimzelltumoren mit prognostisch besonders ungünstigen extragonadalen Lokalisationen erreichen nach Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation ein ereignisfreies Überleben (36 Monate) von ca. 50 % [6].

Neben der Hochdosistherapie bei Hochrisikopatienten in der Primärtherapie hat die autologe Stammzellgabe einen wichtigen Stellwert als supportive Maßnahme im Rahmen von innovativen Therapiemaßnahmen in Rezidivsituationen, wie der 1311-MIBG-Therapie des Neuroblastoms [16], der regionalen Tiefenhyperthermie bei Weichteilsarkomen [11] oder der Behandlung des Osteosarkoms mit Samarium-153-EDTMP [8].

Tab. 1 Pädiatrische Tumoren mit Hochdosistherapie und anschließender autologer Stammzelltransplantation in definierten Tumorstadien: - Neuroblastom 2 13 - Ewing-Tumoren/PNET 4 - Medulloblastome 5 - Keimzelltumoren 6 - Weichteilsarkome 17 - weitere (seltene) Indikationen: AML-Rezidive, Autoimmunerkrankungen, Hepatoblastome 9, Lymphom-Rezidive, Osteosarkome, Retinoblastome 12, Wilmstumoren 15

Angesichts zunehmender finanzieller Engpässe im Gesundheitssystem und limitierter Lagerungskapazitäten für kryokonservierte Stammzellprodukte in den jeweiligen Institutionen besteht Unsicherheit darüber, über welchen Zeitraum eine Einlagerung autologer Stammzellprodukte medizinisch sinnvoll und notwendig ist. Daher ist eine Stellungnahme wünschenswert, wie mit Stammzellprodukten verfahren werden soll, die im Rahmen der Vorbereitung für eine autologe Stammzelltransplantation gewonnen, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht appliziert wurden.

Einen wichtigen Anhalt für die Beantwortung dieser Frage liefert die Analyse der Rezidivkaskade bei den Erkrankungen, bei denen die Indikation zu einer autologen Blutstammzelltransplantation am häufigsten gestellt werden, nämlich dem Neuroblastom und den Ewing-Tumoren. Ziel ist, Stammzellen, die während der Erstbehandlung der Erkrankung gewonnen und nicht im Rahmen der autologen Blutstammzelltransplantation verbraucht wurden, über einen definierten Zeitraum für die Rezidivsituation vorzuhalten, um ggf. eine erneute Hochdosischemotherapie mit Stammzelltransplantation oder eine supportive Stammzellgabe (z. B. bei schweren Infektionen) durchführen zu können.

Tab. 2 Rezidivkaskade der Ewing-Tumoren (Daten der europäischen Ewing-Tumor-Studie EURO-E.W.I.N.G. 99; Studienleitung: Univ.-Prof. Dr. H. Jürgens, Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde - Pädiatrische Hämatologie/Onkologie -, Universitätsklinikum Münster) Zeitpunkt der Diagnose Prozent aller Rezidive Jahr 1 + 2 75 % Jahr 3 13 % Jahr 4 6 % Jahr 5 4 % Jahr 6 2 % > Jahr 6 1 %

Die Rezidivkaskade beim Neuroblastom entspricht der Situation bei den Ewing-Tumoren: Auch hier treten über 90 % aller Rezidive innerhalb von 5 Jahren nach Erstdiagnose auf (Daten der deutschen Neuroblastomstudie NB97; Studienleitung: Univ.-Prof. Dr. F. Berthold).

Einen weiteren wichtigen Aspekt bei der Frage, wie lange Stammzellprodukte eingelagert werden sollen, stellt die Haltbarkeit der eingefrorenen Stammzellprodukte dar. Bisher liegen nur begrenzte klinische Erfahrungen mit der Transplantation von Stammzellprodukten vor, die länger als 2 Jahre gelagert waren [1]. In Übereinstimmung mit den bisher noch limitierten aber positiven Erfahrungen in der Transplantation von Stammzellprodukten, die über einen längeren Zeitpunkt gelagert wurden („proof of principle”), zeigen In-vitro-Untersuchungen von Nabelschnur- und Blutstammzellprodukten, die in flüssigem Stickstoff bei - 120 °C gelagert wurden, dass die Viabilität kolonie-bildender Vorläuferzellen als Surrogatparameter für repopulierende Stammzellen auch nach einer Kryokonservierung von mehr als 10 Jahren über 90 % liegt. Dies gilt nur für Produkte, die in flüssigem Stickstoff gelagert werden. Bei einer Lagerung bei - 80 °C geht die Viabilität der klonogenen Vorläuferzellen innerhalb weniger Monate verloren. Auch bei einer Lagerung in der Gasphase über dem flüssigen Stickstoff, wie zur Vermeidung von viralen Kontaminationen häufig empfohlen wird, verkürzt sich die Haltbarkeit der kryoasservierten Stammzellprodukte [3] [7] [14] [15]. Eine Transplantation von in flüssigem Stickstoff langzeitgelagerten Produkten sollte aber nach derzeitigem Erkenntnisstand kein erhöhtes Risiko für den Patienten darstellen.

Literatur

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  • 10 Jahresbericht 2001 des Pädiatrischen Registers für Stammzell-Transplantationen (PRST). 
  • 11 Kremens B, Gruhn B, Klingebiel T, Hasan C, Laws H J, Koscielniak E, Hero B, Selle B, Niemeyer C, Finckenstein F G, Schuolz A, Waver A, Zintl F, Graf N. High-dose chemotherapy with autologous stem cell rescue in children with nephroblastoma.  Bone Marrow Transplant. 2002;  30 893-898
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  • 13 Matthay K K, Villablanca J G, Seeger R C, Stram D O, Harris R E, Ramsay N K, Swift P, Shimada H, Black C T, Brodeur G M, Gerbing R B, Reynolds C P. Treatment of high-risk neuroblastoma with intensive chemotherapy, radiotherapy, autologous bone marrow transplantation, and 13-cis-retinoic acid. Children's Cancer Group.  N Engl J Med. 1999;  341 1165-1173
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  • 16 Tepmongkol S, Heyman S. 131I MIBG therapy in neuroblastoma: mechanisms, rationale, and current status.  Med Pediatr Oncol. 1999;  32 427-431
  • 17 Wessalowski R, Schneider D T, Mils O, Hannen M, Calaminus G, Engelbrecht V, Pape H, Willers R, Engert J, Harms D, Göbel U. An approach for cure: PEI-chemotherapy and regional deep hyperthermia in children and adolescents with unresectable malignant tumors.  Klin Pädiatr. 2003;  215 289-360
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