Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209 - P37
DOI: 10.1055/s-2005-871488

Neue Mutation im Myelotubulin-Gen als Ursache einer schweren muskulären Hypotonie und Ateminsuffizienz bei einem Neugeborenen

R Schlösser 1, V Boda 2, D Fischer 1, W Kreß 3, D Tews 4, K Bauer 1
  • 1Johann-Wolfgang-Goethe Universität, Frankfurt am Main,
  • 2Johann-Wolfgang-Goethe Universität, Pädiatr. Neuro, Frankfurt am Main
  • 3Institut für Humangenetik, Würzburg,
  • 4Edinger Institut, Frankfurt am Main, D

Ziel: Beschreibung der klinischen Symptome einer bisher nicht beschriebenen Mutation im Myelotubulin-Gen bei einem Neugeborenen.

Kasuistik: Marokkanische Eltern, nicht konsanguin. Die Mutter selbst ist gesund, 4 ihrer Brüder waren am 1. Lebenstag ohne Diagnose verstorben, 2 Brüder und 2 Schwestern sind gesund. G1P1. Schwangerschaft unauffällig. Geburt SSW 40 in einer peripheren Geburtsklinik, GG 2960g, APGAR 2/intubiert, NapH 7.25. postnataler Atemstillstand und cardiopulmonale Reanimation durch Anästhesie vor Ort. Ausgeprägte generalisierte muskuläre Hypotonie, Facies myopathica, dtl. vermindert auslösbare MER, stark verminderter Schluck- und Hustenreflex, keine Hirnstammausfälle. Auffällig lange Finger und Zehen, sonst keine Stigmata. Zunächst maschinelle Beatmung (PPV), ab dem 5. Lebenstag Spontanatmung am nasalen CPAP. Kein erhöhter Sauerstoffbedarf, im Röntgenbild des Thorax normale Lungenstruktur. Keine zerebralen Krampfanfälle Aufgrund der Schluckstörung war regelmäßiges Absaugen des Speichels und schließlich die Anlage einer Gastrostomie zur enteralen Ernährung erforderlich. Nach diagnostischen Maßnahmen, die eine erneute PPV nötig machten, konnte das Kind immer extubiert werden, wenn auch die Notwendigkeit einer CPAP Unterstützung bestehen blieb.

Diagnostik: Kranielle Kernspintomographie unauffällig. Muskelbiopsie: Zentronukleäre Myopathie mit histologischem Nachweis zentral gelegener Zellkerne in den Myozyten. Molekulargenetische Bestätigung der Myopathie durch Nachweis einer bisher nicht beschriebenen komplexen Mutation (Deletion und Insertion) im Myotubularin-Gen auf dem X-Chromosom..

Diskussion: Zentronukleäre Myopathien können sowohl autosomal als auch X-chromosomal vererbt werden. Die X-chromosomal vererbte Form, wie sie bei unserem Patienten vorliegt, ist die in der Regel klinisch ausgeprägteste und wird als Myotubuläre Myopathie bezeichnet. Die Kinder fallen typischerweise mit postnataler Ateminsuffizienz und generalisierter muskulärer Hypotonie auf. Der Verlauf ist durch die Komplikationen der muskulären Hypotonie geprägt. Die mentale Entwicklung ist primär nicht beeinträchtigt.

Zusammenfassung: Zentronukleäre Myopathien sind in der Differentialdiagnose des „floppy infant“ zu erwägen. Die hier neu beschriebene Mutation im Myotubularin-Gen führte zu einer bereits bei Geburt bestehenden schweren generalisierten Muskelhypotonie mit Ateminsuffizienz und Schluckstörung. Bereits in der Neonatalperiode war eine Atemunterstützung und die Anlage einer Gastrostomie zur Ernährung notwendig.