Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209 - PV12
DOI: 10.1055/s-2005-871451

Psychosomatisch Fundierte Therapie Bei Fütter- Und Essstörung Bei Frühgeborenen Mit Niedrigem Geburtsgewicht

M Wilken 1, M Jotzo 2, P Bartmann 1
  • 1Universitäts-Kinderklinik, Bonn
  • 2Universitäts-Kinderklinik, Tübingen, D

Fragestellung: Frühgeborene mit einem niedrigen Geburtsgewicht haben ein hohes Risiko für schwere Ess- und Fütterstörungen (ICD 10 F98.2). Zur optimalen Betreuung von Frühgeborenen mit Essstörungen wurde ein psychosomatisch fundiertes Therapieverfahren entwickelt. Ziel der Intervention ist eine Normalisierung des Essverhaltens und eine selbstregulierte Nahrungsaufnahme. Es wurde evaluiert ob nach erfolgter Behandlung mittels des beschriebenen Therapie Störungssymptome reduziert, das Essverhalten normalisiert und eine selbstregulierte Nahrungsaufnahme erreicht werden kann.

Methodik: Im Kontrollgruppendesign wurden 20 Mütter von ehemals frühgeborenen Kindern (22–34 SSW) mit Essstörungen (Interventionsgruppe) und 20 Mütter von ehemals frühgeborenen Kindern mit normalem Essverhalten untersucht (Matching nach SSW, Geschlecht, Psychosozialer Status.). Es wurde mittels Fragebogenerhebung die Häufigkeit der Fütterungsstörungssymptomatik und das Essverhalten des Kindes erfragt. Daraus lässt sich der Feeding Adversity Score berechnet, wobei die Mütter der Interventionsgruppe unmittelbar vor und nach der Therapie befragt.

Ergebnisse: Bei Terapiebeginn war in 14 Fällen aufgrund der persistierenden Nahrungsverweigerung eine vollständig enterale Ernährung erforderlich, in sechs Fällen musste psychischer Zwang zur Nahrungsaufnahme angewandt werden. In allen Fällen konnte durch die Therapie ein vollständig selbstregulierte Nahrungsaufnahme erreicht werden. Die Interventionsgruppe zeigte vor der Therapie signifikant mehr Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Würgen und Schluckprobleme (p<0.00001). Die Interventionsgruppe wies vor der Therapie einen signifikant höheren Feeding Adversity Score auf (p<0.0001). Nach Therapieabschluss wurden keine Mittelwertsunterschiede zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe mehr signifikant.

Schlussfolgerung: Schwere Fütterungsstörungen können mit dem psychosomatischen Therapieansatz effektiv behandelt werden. Eine Normalisierung des Essverhaltens kann auch in Fällen enteraler Ernährung binnen weniger Wochen erreicht werden. In den meisten Fällen wurde die Intervention sehr spät eingeleitet. Die Zuweisung erfolgt teilweise erst Jahre nach Erstmanifestation der Störung. Eine frühere Zuweisung wäre wünschenswert um langfristige Entwicklungsstörungen im Bereich der Oralmotorik und der Eltern-Kind Interaktion präventiv entgegenzuwirken.