Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209 - PV11
DOI: 10.1055/s-2005-871450

Das Stillen von Frühgeborenen – Anspruch und Realität

D Bösinger 1, R Hentschel 1
  • 1Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Freiburg, D

Zusammenfassung des Vortrags: Der Wandel in der Neonatologie hat zur Folge, dass sich nicht nur die therapeutischen Ziele sondern auch die Ansprüche seitens des medizinischen Personals und auch seitens der Eltern verändern. Während früher die Infektionsbekämpfung, die korrekte Beatmung und die Verhinderung der BPD im Vordergrund standen, ist heute das adäquate Gedeihen ein sehr wichtiges Ziel geworden. Dadurch soll die normale neurologische Entwicklung gefördert werden. Die Zunahme an überlebenden sehr kleinen Frühgeborenen hat diesem Thema noch eine zusätzliche Bedeutung verliehen. Ein weiteres wichtiges Ziel in der Neonatologie und Geburtshilfe ist die Propagierung des Stillens, dessen Vorteile auch für Frühgeborene grundsätzlich unumstritten sind. Zwischen dem festen Willen einer schwangeren Frau, ihr Kind nach der Geburt zu stillen, und der Realität der zu frühen Geburt spielen Einstellungen und Ratschläge von Hebammen,Kinderkrankenschwestern und Neonatologen eine große Rolle. Stillen von sehr kleinen Frühgeborenen ist ein Thema, das zwischen Kinderkrankenschwestern und Hebammen häufig kontrovers diskutiert wird.

Fragestellung: Welche Chancen und Risiken bietet das Stillen von sehr kleinen Frühgeborenen? Wie ist der Stillerfolg in unserer eigenen Klinik bei Frühgeborenen unter 30 Schwangerschaftswochen.

Methodik: Um dem Thema zunächst einmal eine Basis zu geben, wurden durch Recherche in der Literatur und durch Informationssammlung gewonnene Fakten zum Thema Saug- und Schluckvermögen beim Fetus und beim Frühgeborenen ebenso berücksichtigt, wie eigene mehrjährige Erfahrungen auf einer neonatologischen Intensivstation. In dem Referat soll insbesondere die Bedeutung des nicht-nutritiven und des nutritiven Saugens dargestellt werden, ebenso wie Bedarfsunterschiede von Frühgeborenen und reifen Neugeborenen. Vorgestellt werden sollen aber auch Unterstützungsmöglichkeiten seitens der Pflege für das Frühgeborene und seine Mutter auf dem manchmal sehr langen Weg zum Stillen.

Schließlich wurden Mütter ehemaliger Frühgeborener per Telefoninterview zum Thema Stillerfolg befragt.

Ergebnisse: Auf unserer neonatologischen Intensivstation wurden im letzten Jahr 57 Kinder <30 SSW behandelt. Das mittleres Gewicht lag bei 917g, die mittlere Aufenthaltsdauer lag bei 79 Tagen. Der erste Trinkversuch war im Schnitt in der 3. Lebenswoche, das erste Anlegen in der 4. Lebenswoche möglich. Es gingen 72% unserer Kinder gestillt nach Hause.

Schlussfolgerung: Obwohl in den ersten Wochen bei sehr kleinen Frühgeborenen ein konsequentes Stillen nicht möglich ist, ist der Stillerfolg, messbar an der Rate von 72%, erstaunlich hoch. Damit ist belegt, dass Frühgeborene durchaus auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zum Stillen gebracht werden. können.