Es gab bislang keine bundesweiten epidemiologischen Daten über die Behandlung des neonatalen Drogenentzugssyndroms (NAS) in Deutschland. Somit konnte bezüglich der Informationen über die stationäre Behandlung der betroffenen Neugeborenen und des psychosozialen Versorgungsangebotes nur auf Erfahrungen einzelner Arbeitsgruppen zurückgegriffen werden. Daher wurde von unserer Arbeitsgruppe allen Kinderkliniken mit Akutversorgung in Deutschland (n=370) einfragebogen zur medikamentösen Behandlung von Kindern mit NAS, ihre sozialpädiatrische Betreuung, die soziale Situation ihrer Mütter und die Entlasspolitik der Kliniken in diesen Fällen zugeschickt.
Alle Kliniken haben geantwortet (Recallquote=100%), davon behandeln n=271 (73,2%) Neugeborene mit NAS. Von diesen Kliniken behandeln 83,5% höchstens 10 Neugeborene mit NAS pro Jahr, damit aber insgesamt weit über die Hälfte aller infrage kommenden Patienten (64,4%). In der überwiegenden Zahl der Fälle (69,0%) wird Phenobarbital als Monosubstanz oder in Kombination mit anderen Medikamenten zur Therapie eingesetzt, obwohl als Standard die Behandlung mit Opiumtinktur gilt. In n=174 Kliniken (64,2%) erfolgt während des stationären Aufenthaltes die Betreuung von Mutter und Kind durch einen Sozialarbeiter und in n=165 Kliniken (60,9%) wird während des stationären Aufenthaltes eine Helferkonferenz durchgeführt. Eine Nachsorge der Kinder kann durch n=95 Kliniken (35,1%) angeboten werden. In der statistischen Auswertung korrelieren die verschiedenen Faktoren der psychosozialen Betreuung mit der Zahl der pro Jahr behandelten Patienten: je mehr Neugeborene mit NAS pro Jahr in einer Klinik betreut werden, desto umfassender ist ihr psychosoziales Angebot und ihre Nachsorgebetreuung.
Die Ergebnisse dieser ersten bundesweiten epidemiologischen Datenerhebung zum NAS zeigen, dass die meisten betroffenen Neugeborenen in Kliniken behandelt werden, die nur über begrenzte Erfahrung mit diesen drogenabhängigen Neugeborenen verfügen. Entsprechend verläuft nicht nur die medikamentöse Behandlung beim NAS in Deutschland ganz überwiegend nicht nach Standard sondern ebenso die sozialpädiatrische Betreuung und Nachsorge der betroffenen Kinder. Dies ist angesichts der nachgewiesenen schlechten Sozialprognose dieser Patientengruppe mit dem hohen Risiko der Verwahrlosung, Misshandlung und Entwicklungsverzögerung nicht akzeptabel. Aufgrund der erhobenen Daten muss eine bundesweite Standardisierung der stationären Versorgung von Neugeborenen mit NAS gefordert und über eine Bündelung dieser Patienten ähnlich der extremer Frühgeborener in speziellen Zentren als Qualitätssicherungsmaßnahme dikutiert werden.