Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209 - V41
DOI: 10.1055/s-2005-871374

Schmerzverhalten und Bewältigungsformen von Frühgeborenen (<1500g) im korrigierten Alter von 36 Monaten – Einflüsse neonataler Erfahrungen und mütterlicher Ängste

C Ganseforth 1, D Rödder 1, R Klein 1, A Kribs 1, F Pillekamp 1, A von Gontard 2, B Roth 1
  • 1Medizinische Einrichtungen der Universität zu Köln, Köln
  • 2Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg, D

Fragestellung: Bei Frühgeborenen wird vermutet, dass neonatale Schmerz- und Distresserfahrungen neurologische Entwicklungsstörungen auslösen, die neben dem Einfluss elterlichen Erziehungsverhaltens langfristig zu Verhaltensauffälligkeiten und sozial-emotionalen Problemen der Kinder führen. Ziel dieser Studie war, Auswirkungen früher Schmerzerfahrungen und mütterlicher Ängste auf die Schmerzreaktion und Bewältigung von Schmerzsituationen bei Frühgeborenen zu untersuchen.

Methodik: In einer prospektiven Studie wurden von 69 Frühgeborenen (<1500g) neonatale Basisdaten, Angaben über schmerzhafte Maßnahmen, Analgosedierung und den medizinischen Zustand (Nursery Neurobiological Risk Score; NBRS) erhoben. Im (korrigierten) Alter von 3 Jahren wurde für 53 Frühgeborene und 23 Reifgeborene das Schmerz- und Bewältigungsverhalten über einen Schmerzerhebungsbogen ermittelt. Mütterliche Ängste um den kindlichen Gesundheitszustand wurden für die Frühgeborenengruppe im korrigierten Alter von 3, 12 und 36 Monaten mittels Interviews erfasst.

Ergebnisse: Das mittlere Gestationsalter der Frühgeborenen betrug 29+0 SSW (23+3–34+1), das mittlere Geburtsgewicht 1058g (380–1480), das der Kontrollkinder 39+3 SSW (37+0–42+0) und 3379g (2400–4130). Das Geschlechterverhältnis war annähernd gleich. 45.3% der Frühgeborenen waren Mehrlinge (Kontrollgruppe: 34.8%). In der Frühgeborenengruppe ergaben sich für alle Schmerzsituationen lediglich deskriptiv höhere Schmerzscores. Das Geburtsgewicht korrelierte nach Auspartialisierung aller weiteren Hintergrundvariablen als einziger neonataler Einflussfaktor negativ mit späterem Schmerzverhalten in medizinischen Schmerzsituationen. Bei alltäglichen Verletzungssituationen zeigte die Frühgeborenen- gegenüber der Reifgeborenengruppe ein ungünstigeres Bewältigungsverhalten. Neonatal war ein kürzerer Klinikaufenthalt auch nach Auspartialisierung aller möglichen Hintergrundvariablen mit einem stärkeren Rückzugsverhalten assoziiert. Mütterliche Ängste im korrigierten Alter von 12 und 36 Monaten waren mit ungünstigeren Bewältigungsformen von alltäglichen Verletzungssituationen korreliert.

Schlussfolgerung: Frühgeborene (<1500g) zeigen als Gesamtgruppe keine erhöhte Schmerzempfindlichkeit; für die Teilgruppe der extrem unreifen Kinder besteht jedoch ein Risiko für eine spätere Schmerzproblematik. Frühgeborene setzen ungünstigere Bewältigungsformen bei alltäglichen Verletzungssituationen ein, an deren Entstehung mütterliche Ängste um das Kind beteiligt zu sein scheinen. Zur Untersuchung der Schmerzproblematik bei Frühgeburtlichkeit gilt es künftig, nicht nur unmittelbares Schmerzverhalten, sondern ebenso Bewältigungsstrategien und moderierende psychosoziale Einflussfaktoren zu fokussieren, da es sich hierbei möglicherweise um frühe Vorboten späterer internalisierender Verhaltensauffälligkeiten handeln könnte, wie sie im Schulalter nachweisbar sind.