Laryngorhinootologie 2005; 84(11): 797-798
DOI: 10.1055/s-2005-870545
Nachruf
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Nachruf Prof. Dr. Hans-Georg Boenninghaus 20. 4. 1921 - 7. 5. 2005

Obituary Prof. Dr. Hans-Georg Boenninghaus 20. 4. 1921 - 7. 5. 2005Th.  Lenarz1
  • 1Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover
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Publication Date:
11 November 2005 (online)

Am 7. 5. 2005 verstarb Prof. Dr. med. Hans-Georg Boenninghaus, ehemaliger Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Alter von 84 Jahren. Mit ihm verliert die deutsche Hals-Nasen-Ohrenheilkunde einen ihrer prominentesten Vertreter.

Prof. Dr. Hans-Georg Boenninghaus.

Am 20. 4. 1921 wurde Hans-Georg Boenninghaus in Breslau geboren. Durch die Praxis seines Vaters und die Tätigkeit seines Großvaters kam er bereits früh in Kontakt mit seinem späteren Aufgabengebiet, der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Der Großvater, Prof. Dr. Georg Boenninghaus, war am Krankenhaus St. Georg als Leiter der Otologischen Abteilung tätig. Im Geburtsjahr von Hans-Georg Boenninghaus war er außerdem Gründungspräsident der Gesellschaft Deutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte, dem Vorläufer unserer heutigen Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Das durch den Kriegseinsatz unterbrochene Medizinstudium in Breslau und Innsbruck konnte Hans-Georg Boenninghaus mit einer Dissertation über Schussverletzungen der Nasennebenhöhlen beenden. Bereits hier deutete sich sein Interesse für die Traumatologie an, die sein späteres wissenschaftliches Werk besonders prägen sollte. Seine Ausbildung zum Hals-Nasen-Ohrenarzt erhielt er an der Marburger Universitätsklinik unter W. Uffenorde. Dort war er anschließend als Oberarzt tätig. Unter seinem Lehrer, Herrn R. Mittermaier, habilitierte er sich 1953 mit einer Arbeit zum mehrfasigen Verlauf des kalorisch induzierten Nystagmus. Der Schwerpunkt der klinischen Tätigkeit lag jedoch eindeutig auf dem Gebiet der Traumatologie. Auf den in Marburg gesammelten umfangreichen klinischen Erfahrungen basiert seine grundlegende Monographie „Die Behandlung der Schädelbasisbrüche” aus dem Jahr 1960.

1956 wechselte er zusammen mit seinem Lehrer an die Universitätsklinik Frankfurt/Main. Dort wurde er 1956 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Die dortige Zusammenarbeit mit dem Ingenieur und Audiologen Prof. Dr. W. Röser bildete die fachliche und menschliche Grundlage für sein grundlegendes Werk im Bereich der Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit. Basierend auf dem neu entwickelten Freiburger Sprachtest, entwickelten beide eine genaue Einstufung der Schweregrade einer Hörstörung in Form des prozentualen Hörverlustes. Dieser intensiven Zusammenarbeit sind die noch heute gültigen Tabellen als Grundlage der Begutachtung von Hörstörungen entsprungen. Sie fanden auch Eingang in die Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften, dem so genannten Königsteiner Merkblatt aus dem Jahr 1974, an dem Hans-Georg Boenninghaus intensiv mitgearbeitet hat. Diese intensive persönliche Beziehung zwischen dem Hals-Nasen-Ohrenarzt und dem Ingenieur war beispielgebend für die sich abzeichnende notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Audiologie.

Von 1962 bis 1965 war Hans-Georg Boenninghaus als Chefarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe tätig. In dieser Position erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg im Jahr 1965 und trat dort am 1. 8. des Jahres seinen Dienst an.

Bis zu seiner Emeritierung am 30. 9. 1987 leitete er die dortige Klinik in der Voßstraße. Dieser traditionsreiche Bau war seit 1901 im Betrieb und wurde unter seiner Leitung entscheidend erweitert und modernisiert. Durch die sehr frühe richtungsweisende Einrichtung moderner Laboratorien für die computergestützte objektive Audiometrie und moderne Gleichgewichtsdiagnostik, später für Allergologie und Speichelforschung erhielt die Klinik ihre moderne Ausrichtung. Schwerpunkte der klinischen Arbeit blieben daneben weiterhin die Traumatologie, die Chirurgie der Nasennebenhöhlen und die Tumorchirurgie. Zu ihr gesellten sich Aufgaben der Rekonstruktion hinzu. Aus der intensiven Beschäftigung mit der Mittelohrchirurgie wurde an der Heidelberger Klinik als eine der ersten Kliniken ein Cochlear Implant Programm in Deutschland aufgebaut. Wissenschaftlich waren immer Audiologie, Vestibularisforschung und Allergologie die herausgehobenen Arbeitsgebiete der Heidelberger Klinik. Besondere Förderung erhielt auch die Phoniatrie und Pädaudiologie mit Einrichtung einer eigenen Abteilung unter Leitung von Prof. Dr. G. Wirth.

Wichtige wissenschaftliche Arbeiten aus der Heidelberger Zeit sind die Entdeckung des so genannten akustischen Traumas, das durch Lärmeinwirkung bei gleichzeitiger Verdrehung der Halswirbelsäule auftreten kann. Die breiten wissenschaftlichen und klinischen Erfahrungen fanden ihren Niederschlag in Hauptreferaten und Handbuchbeiträgen für die frontobasalen Schädelbrüche und Ohrverletzungen.

In Phasen des politischen Umbruchs genoss Hans-Georg Boenninghaus in der Heidelberger Fakultät aufgrund seiner umsichtigen Amtsführung, seiner Gradlinigkeit und Durchsetzungskraft höchstes Ansehen. Ihm ist es zu verdanken, dass trotz der politischen Unruhen die Medizin an der Heidelberger Universität weiterhin ihren auch international herausragenden Ruf behielt und das Verhältnis zu den Studierenden konstruktiv gestaltet werden konnte.

Hans-Georg Boenninghaus fühlte sich immer der klinisch orientierten Wissenschaft verpflichtet. Für seine zahlreichen Schüler und die Studenten war er immer ein herausragender klinischer Lehrer. Er verstand es, eine klinische Schule zu etablieren, die sich vor allem durch klares Urteilsvermögen, gegründet auf systematische Diagnostik, Pragmatismus und klare Systematik, auszeichnete. Er selbst hat stets bei seinem klinischen Denken und Handeln Systematik mit klinischem Spürsinn vereinigt und beides zu einem herausragenden klinischen Urteilsvermögen ausgebildet. Den hervorragendsten Niederschlag hat diese Begabung als klinischer Lehrer in dem von ihm zwischen 1970 und 2001 in 11 Auflagen herausgegebenen Lehrbuch der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde für Studierende der Medizin gefunden. Mit über 250 000 verkauften Exemplaren gehört es zu den erfolgreichsten medizinischen Lehrbüchern überhaupt. Der „Boenninghaus” hat über Generationen das Bild der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in der deutschen Ärzteschaft geprägt. Das Buch wird nun von einem der Schüler weitergeführt.

Hans-Georg Boenninghaus war Mitherausgeber der Zeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie und hatte die Schriftleitung von 1982 bis 1985 inne.

Hans-Georg Boenninghaus war Präsident unserer Gesellschaft im Geschäftsjahr 1980/81. Er organisierte den wissenschaftlichen Jahreskongress in Wiesbaden 1981. 1987 schloss er seine wissenschaftliche Laufbahn mit der Ausrichtung des Südwestdeutschen Hals-Nasen-Ohrenkongresses in Heidelberg ab.

Mit seiner Emeritierung zum 1. 10. 1987 endete auch die Geschichte der 1901 erbauten Ohrenklinik in der Voßstraße. Am Tag der Emeritierung fand der Umzug in die neue Kopfklinik statt, an deren Planung und baulichen Verwirklichung er entscheidend beteiligt war. Ihm war es wichtig, die bestens ausgestattete und nach modernen Gesichtspunkten konzipierte Klinik zeitgerecht seinem Nachfolger zu übergeben.

Der überragende Kliniker und Hochschullehrer Hans-Georg Boenninghaus hat Schüler und Studenten nicht zuletzt durch seine überragende Persönlichkeit geprägt. Sie zeichnet sich aus durch Geradlinigkeit, klares Denken und der Fähigkeit zur Führung auch in schwierigen Situationen. Die Klinik als Prüfstein der Forschung war ihm dabei immer ein besonderes Anliegen. Im persönlichen Umgang zeichnete er sich durch ein großes Maß menschlicher Wärme, Kontaktfreudigkeit und Humor aus. Dies machte ihn zu einem beliebten Gesellschafter. Zahlreiche Reisen in alle Gegenden der Welt waren für ihn und seine Familie ein wichtiges Element neben der beruflichen Tätigkeit, der er in den ersten Jahren nach seiner Emeritierung noch intensiv nachgehen konnte. Die letzten Jahre waren überschattet von dem Verlust seiner geliebten Frau und schweren Krankheiten, die er mit der ihm eigenen Disziplin, Tapferkeit und Geduld ertragen hat.

Wer Hans-Georg Boenninghaus als Arzt und Kliniker, als Chef und Lehrer, als Mensch und Freund kennen lernen durfte, war beeindruckt von dieser Persönlichkeit, die die deutsche Hals-Nasen-Ohrenheilkunde nachhaltig in besonderer Weise geprägt hat. Dafür möchten ihm seine Schüler, von denen einige auf Lehrstühle unseres Fachgebietes berufen oder zu Chefärzten ernannt wurden, besonders danken. Wir werden ihn als großes menschliches und fachliches Vorbild in bleibender Erinnerung behalten.

Prof. Dr. med. Th. Lenarz

Direktor der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Straße 1 · 30625 Hannover

Email: lenarz.thomas@mh-hannover.de

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