Gastroenterologie up2date 2005; 1(1): 4-5
DOI: 10.1055/s-2005-870487
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Vorsorgekoloskopie - außen hui, innen pfui?

Thomas  Rösch
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Publikationsdatum:
19. September 2005 (online)

Kommentar zu: Analyse von aufgetretenen Kolonkarzinomen im Rahmen der Überwachungs-Koloskopie in der Diät-Polypenpräventions-Studie

Analysis of colorectal cancer occurrence during surveillance colonoscopy in the dietary Polyp Prevention Trial

Ajay Pabby M. D., Robert E. Schoen M. D., Joel L. Weissfeld M. D., MPH, Randall Burt M. D., James W. Kikendall M. D., Peter Lance M. D., Moshe Shike M. D., Elaine Lanza Ph. D. and Arthur Schatzkin M. D., Dr. PH

Zusammenfassung

Hintergrund: Kolorektale Karzinome werden gelegentlich bei Patienten gefunden, die sich kurze Zeit vorher einer Screening-Koloskopie unterzogen hatten. Eine systematische Analyse der kolorektalen Karzinome, die nach einer Koloskopie entdeckt wurden, könnte Wege aufzeigen, Qualität und Outcome der Koloskopie zu verbessern.

Methoden: Die vorliegende Studie untersuchte Krebsdiagnosen, die im Rahmen der Diät-Polypenpräventions-Studie gestellt wurden, einer randomisierten Studie zum Einfluss einer Diätmodifikation auf die Rezidivrate von adenomatösen Polypen. Es wurde ein Algorithmus entwickelt, der die Karzinome in 4 Ätiologiegruppen einteilte: (1) inkomplette Polypektomie (Karzinom an der Polypektomiestelle), (2) Versagen der Biopsie (Karzinom an einer Stelle mit suspekter Makroskopie, aber negativer Biopsie), (3) übersehenes Karzinom (großes, fortgeschrittenes Karzinom, das in kurzem Abstand nach einer Koloskopie entdeckt wurde), oder (4) neu entstandenes Karzinom (kleines Frühkarzinom längere Zeit nach der Koloskopie).

Ergebnisse: Bei 13 von 2079 Patienten wurde über eine Zeitspanne von 5810 Patientenjahren der Nachbeobachtung ein Karzinom entdeckt (2,2 Fälle/1000 Patientenjahre Nachbeobachtung). 7 dieser 13 Patienten (53,8 %) hatten ein potenziell vermeidbares Karzinom oder eines, das früher hätte entdeckt werden können aufgrund inkompletter Entfernung (4/13) oder eines übersehenen Karzinoms (3/13).

Schlussfolgerung:

Karzinome können trotz vorausgegangener Koloskopie auftreten. In über 50 % der Fälle, die in der Diät-Polypenpräventions-Studie aufgetreten waren, hätte eine qualitativ verbesserte Koloskopie zu einer verringerten Prävalenz oder einer früheren Entdeckung geführt.

Gastrointest Endosc 2005; 61: 385 - 391

Die vorliegende Arbeit ist keine Studie zur Screening-Koloskopie, könnte aber trotzdem als Argument gegen diese und als Argument für Alternativverfahren verwendet werden. Deswegen lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen. Die vorliegenden Daten sind Nebenprodukt einer Diätstudie zur Polypenprävention in einem Risikokollektiv (Patienten in der Nachbeobachtung nach Polypektomie). Die Autoren nahmen sogar Patienten ab 35 Jahren auf, also möglicherweise auch Hochrisikofälle. Die Patienten erhielten ein und 4 Jahre nach Polypektomie eine Nachuntersuchung. Dabei wurden offenbar auch Patienten mit nicht vollständig abgetragenen Polypen ohne weitere Koloskopie in die Studie eingeschlossen, was sicherlich zu diskutieren ist. Die 13 Karzinomfälle bei 2079 Patienten (0,6 %) liegen sicher trotzdem deutlich unter der erwarteten Karzinominzidenz bei nichtpolypektomierten Polypenträgern, einem Risikokollektiv, wie gesagt. Diese wäre zumindest im Verlauf von 4 Jahren im Bereich zwischen 10 und 20% anzusetzen, obwohl es hierzu kaum systematische Daten gibt; die National Polyp Study rechnete sogar mit Karzinominzidenzraten in der historischen Kontrollgruppe zwischen 20 und 48 %. Auch in der National Polyp Study traten 5 Karzinome unter 1418 Polypektomiepatienten auf (0,4 %), also eine Rate, die gar nicht so weit entfernt vom Ergebnis dieser Studie liegt, wenngleich es sich bei den 5 Fällen um Frühkarzinome handelte, allerdings bei engeren Nachuntersuchungsintervallen. Im Übrigen gibt es ältere, ganz ähnliche Publikationen, die mögliche Faktoren für übersehene Karzinome, v. a. im rechten Kolon (abgebrochene Koloskopien, schmutziger Darm) nennen. Und die erhobenen Qualitätsdaten der deutschen Screening-Koloskopie sind ja prima (Zäkumrate weit über 90 %, minimale Komplikationsrate). Also nichts Neues, keine Aufregung, alles Paletti?

Vielleicht, vielleicht aber doch nicht ganz. Zumindest sollten wir uns auch hier in Deutschland datenmäßig etwas besser wappnen. Selbst eine Zäkumrate (die übrigens auf Selbstangaben beruht) von 100 % schützt nicht vor übersehenen Karzinomen. In der deutschen Erfassung sind keine Daten zur langfristigen Karzinomverminderung bei den gescreenten Patienten enthalten. Doch die Screening-Koloskopie ist seit 2003 im Einsatz, bald könnten wir alle neuentdeckten Kolonkarzinome daraufhin untersuchen, ob nicht vielleicht doch einige der Patienten vorher eine normale Screening-Koloskopie hatten. Aus Großbritannien wurde im Vorjahr eine Studie zur diagnostischen Koloskopie mit audit veröffentlicht, die eine schlechte Zäkumrate zeigte (77%): Sind die Briten Lichtjahre schlechter als wir? Wie man es auch dreht und wendet: Es wäre ratsam, auch oder gerade angesichts der großen Hoffnungen, die auf die deutsche Screening-Koloskopie gesetzt wurden, rechtzeitig Qualitätssicherungsprogramme und Studien aufzulegen, die den Status ehrlich überprüfen und gegebenenfalls rasch zu Verbesserungsmaßnahmen führen können. Hierbei sollten wir uns nicht alleine auf verbesserte Koloskope (Eigenantrieb, Weitwinkel, angeregte Bildgebung zur besseren Erkennung) verlassen, wie sie seit letztem Jahr zunehmend vorgestellt wurden.

Prof. Dr. T. Rösch

Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow

eMail: thomas.roesch@charite.de

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