Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(8): 761-766
DOI: 10.1055/s-2005-865932
Originalarbeit

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entscheidungsfindung bei späten Schwangerschaftsabbrüchen

Late Induced Abortion - How to Find the Best DecisionT. Wernstedt1 , M. W. Beckmann2 , R. L. Schild2
  • 1Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität Erlangen-Nürnberg
  • 2Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
Further Information

Publication History

Eingang Manuskript: 19.1.2005

Akzeptiert: 20.7.2005

Publication Date:
05 September 2005 (online)

Zusammenfassung

Fragestellung: Der § 218 a Abs. 2 StGB lässt einen Abbruch nach der 12. Woche straffrei, wenn die Schwangere den Abbruch wünscht, nach ärztlicher Erkenntnis eine Gefährdung der Gesundheit durch das Austragen der Schwangerschaft zu erwarten ist und diese Gefährdung nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Wir suchten an der Universitätsklinik Erlangen nach einem Entscheidungsverfahren, das eine Güterabwägung für jeden Einzelfall ermöglicht. Material und Methodik: Innerhalb von 12 Monaten wurde in 13 Fällen die Frage nach einem späten Schwangerschaftsabbruch ausführlich besprochen und entschieden. Neben relevanten Fachkonsilen fand mit dem betroffenen Paar ein Ethikgespräch zur Klärung der rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen statt. Beim Hauptgespräch wurden die medizinischen Fakten vom behandelnden Pränatalmediziner und von Konsiliarärzten ausführlich dargestellt und mit Unterstützung der AG-Ethikberatung des klinischen Ethikkomitees eine Güterabwägung vorgenommen. Aus den Stellungnahmen der Teilnehmer leitete sich ein für den Pränatalmediziner nicht bindendes Mehrheitsvotum ab. Ergebnisse: In 12 von 13 Fällen waren Fehlbildungen des Feten maßgeblicher Grund für den Wunsch der Patientin nach einem Abbruch. In drei Fällen konnte eine manifeste psychiatrische Gesundheitsgefährdung der Schwangeren festgestellt werden, in den anderen Fällen eine starke psychische Belastung. Alle Schwangeren lebten in stabilen Partnerschaften und in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Ein Fetozid wurde in acht Fällen durchgeführt, ein Schwangerschaftsabbruch in sieben Fällen. Schlussfolgerung: Der § 218 lässt bei mütterlicher Indikation einen Spielraum für Abbrüche nach der 12. Woche. Am Universitätsklinikum Erlangen wurde ein Modell der Entscheidungsfindung erarbeitet, das ein transparentes Verfahren unter Berücksichtigung des rechtlichen Rahmens sicherstellt.

Abstract

Purpose: The German penal code exempts induced abortion from punishment if the pregnant woman wishes the termination of her pregnancy, if physicians foresee a present or future danger to the health of the pregnant woman and if there is no other way to avoid this danger. At the University Hospital of Erlangen we aimed to find the best individual decision for each case of requested late termination. Material and Method: Within a period of 12 months we had to decide on 13 such cases. For optimal management medical consultants with special knowledge on the relevant fetal anomalies were consulted. Legal and ethical aspects of late induced abortion were discussed in detail with the concerned couple. This was followed by a group discussion with all involved professionals, ending with a majority vote for or against abortion. The result of the vote was not binding for the fetal medicine specialist but facilitated his decision making. Result: In 12 of 13 cases a severe fetal malformation was the patients' main reason to request termination. Three women were diagnosed with overt psychiatric disease, the remainder showed signs of marked psychological disturbance. All patients lived in stable partnerships. Conclusion: The German penal code allows induced abortion after the 12th week for medical reasons. At the University Hospital of Erlangen our decision-finding process for late terminations involves professionals with special knowledge of fetal and neonatal disease facilitating the best individual decision within the scope of the law.

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1 Seit 2002 Kooperationsprojekt „Psychosoziale Beratung bei Pränataldiagnostik“ der gynäkologischen Psychosomatik des Universitätsklinikums Bonn und des Diakonischen Werkes Bonn/Bad Godesberg.

Prof. Dr. MRCOG R. L. Schild

Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen

Universitätsstraße 21 - 23

91054 Erlangen

Email: ralf.schild@gyn.imed.uni-erlangen.de

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