Gesundheitswesen 2005; 67 - 43
DOI: 10.1055/s-2005-865565

Gesundheitliche Bedeutung der Phthalatbelastung für die allgemeine Bevölkerung

H Fromme 1
  • 1Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim

Insbesondere aufgrund des Einsatzes als Weichmacher in einer Vielzahl von Produkten sind Phthalate mittlerweile in allen Umweltkompartimenten und im menschlichen Organismus nachzuweisen. Sie werden zu ungefähr 90% als Weichmacher, vor allen Dingen bei der Herstellung von Weich-PVC und anderen Polymerisaten, eingesetzt. Weitere Anwendungsbereiche sind der Einsatz als Dielektrikum in Kondensatoren, als Entschäumer bei der Papierherstellung und Emulgatoren für Kosmetika, als Hilfsstoffe in Pharmaka, als Textilhilfsstoff, in Beschichtungssystemen, als Betonzusatzstoff, in Klebstoffen, Farben/Lacken und in Dichtungsmassen.

Phthalate sind toxikologisch im Tierexperiment hauptsächlich wegen ihrer Wirkungen auf die Reproduktionsorgane (z.B. Testesatrophien bei Ratten) bedeutsam. Bei Nagetieren wird zudem eine Erhöhung der Inzidenz an Lebertumoren beobachtet, deren Bedeutung für den Menschen derzeit noch kontrovers diskutiert wird. Aufgrund seiner mengenmäßigen Verwendung und toxikologischen Bedeutung steht derzeit insbesondere das Di-2-Ethylhexylphthalat (DEHP) im Zentrum der Diskussion.

Ein erster Schritt im Rahmen des Metabolismus von DEHP im Organismus ist die hydrolytische Spaltung zum Monoester, in diesem Fall zum Mono-2-Ethylhexylphthalat (MEHP). Sowohl MEHP als auch die sekundären Metabolite 2-Ethyl-5-hydroxyhexylphthalat (5OH-MEHP) und Mono-2-Ethyl-5-oxohexylphthalat (5oxo-MEHP) stehen für ein Humanbiomonitoring zur Verfügung. Urinproben von 254 Kinder, die im Rahmen der Pilotphase zum Umweltsurvey 2001/2002 genommen wurden, zeigten MEHP-Gehalte zwischen 0,7 und 233µg/g Kreatinin (Median: 5,6µg/g Kreatinin) [Becker et al. 2004]. Für die sekundären Metabolite 5OH-MEHP und 5oxo-MEHP wurden in Deutschland Mediane von 32,1–52,1µg/l bzw. 19,6–41,4µg/l gemessen, wobei Frauen zwischen 18 und 40 Jahren und Kinder die höchsten Ausscheidungsmengen hatten. [Koch et al. 2003, Becker et al. 2004].

In Wohninnenräumen ergaben verschiedene Untersuchungen für DEHP im Hausstaub Mediane von 340–770mg/kg (95. Perzentil: 1170–3470mg/kg) bzw. in der Luft von 77–482 ng/m3 (95. Perzentil: 390–1647 ng/m3 [Fromme et al. 2004].

Die Aufnahmesituation des Menschen wird wahrscheinlich stark durch die Zufuhr über Nahrungsmittel bestimmt, die (bei starken Schwankungen) im Mittel auf täglich 1,9–5,0µg/kg Körpergewicht einzuschätzen ist [Fromme 2005]. In amerikanischen Untersuchungen wird von bis zu 30µg/kg KG und Tag ausgegangen. Insgesamt sind die Daten zur Aufnahme über Lebensmittel jedoch äußerst begrenzt.

Besondere Expositionssituationen können sich durch die Verwendung von phthalathaltigem Plastikmaterialien in der Medizin ergeben, wobei insbesondere bei der ECMO, bei Austauschtransfusionen und bei der vollständige parenterale Ernährung im Neugeborenenalter Belastungsschwerpunkte gesehen werden müssen. Darüber hinaus wird eine erhöhte Exposition bei der Hämodialyse, im Rahmen von Transplantationen und Bypass-Operationen sowie im Anschluss an massive Bluttransfusionen vermutet.

Toxikokinetische Berechnungen zur Phthalataufnahme aus der Ausscheidung von Phthalatmetaboliten im Urin deuten darauf hin, dass vielleicht einige Prozent der Bevölkerung im Bereich der täglichen duldbaren Aufnahme und darüber hinaus belastet sein könnten. Diese unklare Ausgangslage zu aktuellen Belastung erfordert unter Berücksichtigung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes vertiefende Untersuchungen. Deshalb führt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im Zeitraum von 2004 bis 2006 eine Untersuchung zur Quantifizierung der oralen und inhalativen Belastungspfade des Menschen durch. Dazu werden sowohl Duplikate der verzehrten Nahrungsmittel untersucht als auch die Innenräume bemessen. Die interne Belastung der Probanden wird durch ein Humanbiomonitoring abgeklärt. Erste Ergebnisse hierzu werden vorgestellt und diskutiert.

Literatur:

Becker, K., Seiwert, M., Angerer, J., Heger, W., Koch, H. M., Nagorka, R., Roßkamp, E., Schlüter, C., Seifert, B., Ullrich, D. (2004) DEHP metabolites in urine of children and DEHP in house dust. Int. J. Hyg. Environ. Health 207, 409–417.

Fromme, H., Lahrz, T., Piloty, M., Gebhart, H., Oddoy, A., Rüden, H. (2004) Occurrence of phthalates and musk fragrances in indoor air and dust from apartments and kindergartens in Berlin (Germany). Indoor Air 14, 188–195.

Fromme, H. (2005) Phthalate. In: Beyer, A. & Eis, D.:Loseblattsammlung Praktische Umweltmedizin. Springer Verlag.

Koch, H. M., Drexler, H., Angerer, J. (2003) Die innere Belastung der Allgemeinbevölkerung mit Di(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP). Umweltmed. Forsch. Prax. 8, 15–23.