Zeitschrift für Palliativmedizin 2005; 6 - 90
DOI: 10.1055/s-2005-865484

Hermeneutische Aspekte im Erleben von schwerer Krankheit bei Betroffenen und deren Angehörigen

C Knipping 1
  • 1Zentrum für Tumordiagnostik und Prävention ZeTuP, St. Gallen, Schweiz

Die umfassende Behandlung, Pflege und Begleitung von Schwerkranken und deren Angehörigen erfordert qualifizierte Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen. Als eine maßgebliche Schlüsselqualifikation stellte die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe im Jahr 1996 die „hermeneutische“ Kompetenz dar. Mit der hermeneutischen Kompetenz ist die Fähigkeit gemeint, im holistischen Assessment einer Patientensituation zur diagnostischen Anamnese auch eine hermeneutische Anamnese zu erheben. Geht man beispielhaft von der Symptomanamnese aus, so geht es nicht nur darum zu erfassen, dass das Phänomen Fatigue, Schmerz oder Angst vorhanden ist, sondern mit dem Betroffenen frühzeitig in einen Dialog darüber zu gelangen, was die Fatigue, der Schmerz, die Angst für den Betroffenen „bedeutet“, damit er diese Symptome/Phänomene besser versteht und die Chance zur Befähigung erlangt, damit entsprechend umzugehen. Mit der hermeneutischen Kompetenz ist der „verstehende“ Umgang gemeint. Es handelt sich um das Erfassen, das Verstehen des individuellen Bedeutungsaspektes von Krankheit, Sterben, Tod und Trauer für den Betroffenen und seine Angehörigen. Wesentlich erscheint hier, dem Betroffenen und seinen Angehörigen frühzeitig die Fähigkeit zu vermitteln, im Erleben von schwerer Krankheit durch eine individuelle Aufklärung, Information und Beratung (Patientenedukation) ihre Situation mit ihren entsprechenden Auswirkungen, Einschränkungen und Phänomenen zu verstehen und diese im verstehenden Umgang zu bewältigen (Coping). Dem therapeutischen Team kommt hier eine maßgebliche Aufgabe zu, über der Berücksichtigung der hermeneutischen Aspekte die Betroffenen in ihrem Selfmanagement, Empowerment und Coping zu stärken und zu begleiten. Dies stellt eine gelungene und von der WHO (2002) geforderte Intervention in ihrer Definition von Palliative Care im Sinne von Prävention in der Palliation dar und sollte noch viel mehr berücksichtigt werden in der umfassenden Betreuung von schwerkranken Menschen wie auch deren Angehörigen.