Handchir Mikrochir Plast Chir 2005; 37 - 25
DOI: 10.1055/s-2005-864882

Deckung allschichtiger Schädeldefekte mit freiem chimären osteomyokutanen M. serratus anterior-Lappen mit halben Rippen (7 Fälle)

F Sandweg 1, I Richter-Heine 1, A Rau 1, D Kolodziejczyk 1, S Foag 1, A Peek 1
  • 1Klinik für Plastische und Handchirurgie, Brustzentrum am Behandlungszentrum Vogtareuth, Vogtareuth, Deutschland

Einleitung: Eine gefürchtete neurochirurgische Komplikation bei Schädeleingriffen ist die Infektion mit konsekutivem Verlust des Knochendeckels und Weichteildefekt. Dieser komplexe Defekt erfordert eine aufwendige plastisch-chirurgische Rekonstruktion zur Erreichung einer Infektsanierung, dauerhaften knöchernen Stabilisierung, suffizienten Weichteildeckung und vor allem die Abdichtung des Liquorraumes. Ziel dieser Studie ist die Darstellung eines neuen Behandlungskonzeptes zur Defektdeckung von großen mehrschichtigen Schädeldefekten. Methodik: Im Zeitraum von Januar 2003 bis Januar 2004 wurde im Rahmen der interdisziplinären neuro- und plastisch-chirurgischen Zusammenarbeit bei 7 Patienten ein allschichtiger infizierter Schädeldefekt operiert, welcher durch alloplastisches Material nicht verschließbar war. Die Versorgung erfolgte jeweils durch einen chimären osteomyokutanen M. serratus anterior-Lappen. Der Lappen enthielt 2 bis 4 Rippen, wobei die äußere Hälfte der einzelnen Rippe unter Belassung der inneren Hälfte entnommen wurde. Die Rippen blieben im Verbund mit Anteilen des Serratus am Serratus-Gefäßstiel versorgt, während ein chimärer Haut-Subkutis-Lappenanteil unabhängig davon gestielt am Perforator der Thorakodorsalis zusätzlich gehoben wurde. Die Rippen wurden unter konvexer Vorspannung mit der Tabula externa verschraubt und die unabhängige Hautinsel bis 5×20cm zur Defektdeckung und zum Lappenmonitoring eingepaßt. Mikrochirurgische Anschlüsse erfolgten temporal in der Tiefe der Parotis oder zervikal.

Ergebnisse: Alle sieben Lappen heilten ein. In einem Fall war die Revision einer Venenthrombose notwendig. In einem Fall erfolgte durch sekundäre Naht die Abdichtung einer persistierenden Liquorfistel. Eine zentrale Liquorableitung wurde in drei Fällen angelegt. Bei allen Patienten erfolgte später eine kosmetische Korrektur der Hautinsel.

Schlussfolgerungen: Das beschriebene Verfahren hat sich zur Defektdeckung komplexer allschichtiger infizierter Kalottendefekte bewährt. Diese komposite Lappenplastik enthält 3 Gewebebestandteile, die in idealer Weise den Defektansprüchen gerecht werden. Der knöcherne Anteil mit vorgespannten Rippen hat trotz ihrer Dünne eine hohe Stabilität und bietet dem Gehirn genügend Schutz. Die gebogene Rippenkontur gibt dem Schädel annähernd seine Form zurück. Der transplantierte Muskel unterstützt die Bekämpfung des Infektes und Abdichtung des Liquorraumes. Die mitgehobene chimäre fasziokutane Insel hat einen unabhängigen Rotationsradius und eignet sich gut zum Weichteilverschluss. Trotz der gewebereduzierenden Technik des thorakodorsalen Perforators ist jedoch eine Lappenausdünnung zum Erreichen von befriedigenden ästhetischen Ergebnissen im exponierten Kopfbereich nötig. Im Gegensatz zu anderen Autoren zeigten sich keine Thoraxwandinstabilitäten, und Verletzungen der Pleura parietalis wurden wegen der Belassung der inneren Rippe nicht beobachtet. Der Hebedefekt ließ sich primär verschließen. Die dargestellte Rekonstruktion ist ein zeitintensives, technisch anspruchsvolles Verfahren, welches nur in Kliniken mit mikrochirurgischem Alltag interdisziplinär mit den Neurochirurgen Anwendung finden kann. Sie erlaubt bei Patienten mit infizierten Kalottendefekten und unbedecktem Gehirn in idealer und schnellstmöglicher Weise den Verschluss der Wunde, den Schutz des Gehirnes vor mechanischen Einflüssen und die Abdichtung des Liquorraumes mit autologem Transplantat.