Notfall & Hausarztmedizin (Notfallmedizin) 2005; 31(1/02): 50-54
DOI: 10.1055/s-2005-864649
Notfallmanagement in der Arztpraxis

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Praktisches Notfallmanagement in der Arztpraxis

Teil 1 - Der Arzt als Notfallmanager
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Publication Date:
24 February 2005 (online)

Wie kann ich mich als Praxischef auf Notfälle vorbereiten?

Obwohl Notfälle plötzlich und unerwartet auftreten, können kritische Situationen durch gute Vorbereitung, Training und Organisation des Praxischefs und seiner Mitarbeiter besser beherrscht werden. Folgende Basismaßnahmen helfen dabei:

Ziel der Serie „Notfallmanagement in der Arztpraxis”

  • Notfälle treten unerwartet auf und verlangen vom gesamten Praxisteam ein sofortiges „Umschalten” vom Routinebetrieb auf die Notfallversorgung. Unter Zeitdruck müssen jetzt auf dem meist weniger vertauten Gebiet der Notfallmedizin die richtigen, oft lebensrettenden Maßnahmen ergriffen werden.

  • Ineffektivität und Chaos können nur dann vermieden werden, wenn alle Mitarbeiter vorbereitet sind und optimal zusammenarbeiten. Es genügt nicht, wenn lediglich der Praxischef über notfallmedizinisches Wissen verfügt. Er und seine Mitarbeiter müssen in der Lage sein, dieses Wissen praktisch umzusetzen und alle personellen, technischen sowie organisatorischen Hilfen zu nutzen, welche die Praxis bietet. Kritische Situationen können nur durch gutes Teamwork gemeistert werden.

  • Theorie und Praxis der lebensrettenden Sofortmaßnahmen sind relativ leicht erlernbar. Das eigentliche Problem besteht darin, dass Notfälle in der Praxis zu selten auftreten, um Routine und Sicherheit zu erlangen. Umso wichtiger sind daher die mentale und organisatorische Vorbereitung sowie regelmäßiges Üben, damit im Ernstfall das Wichtige schnell und richtig gemacht wird.

  • Ziel der Serie „Notfallmanagement in der Arztpraxis” ist es, den in der Praxis tätigen Arzt und seine Mitarbeiter auf das Management medizinischer Notfälle vorzubereiten und für die wichtigsten Situationen in prägnanter Form konkrete und praxisnahe medizinische und organisatorische Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben.

  • Unverzichtbare Basismaßnahmen, die jeder Arzt beherrschen sollte, werden besonders betont. Für diejenigen Kollegen, die höheren notfallmedizinischen Ansprüchen genügen wollen, werden auch differenziertere und schwieriger durchzuführende Maßnahmen behandelt. Stets wird besonderer Wert gelegt auf die organisatorischen Aspekte der Bewältigung von Notfällen, wie Aufgabenverteilung, Delegation, Koordination und Kommunikation, also auf die Aufgaben des Arztes als „Notfallmanager”.

  • Seminare zum praktischen Notfallmanagement bietet z.B. das IMS-Institut für Medizinisches Sicherheits- und Notfallmanagement e.V., Hirschgartenallee 48, 80639 München.

Ausbildung

  • Checken Sie ab, ob Sie die wichtigsten Sofortmaßnahem in Theorie und Praxis beherrschen.

  • Insbesondere sollten Sie zumindest folgende praktische Fertigkeiten sicher beherrschen:

    • Erkennen lebensbedrohlicher Zustände (Störungen der Vitalfunktionen: Bewusstsein, Atmung, Kreislauf)

    • Freimachen und Freihalten der Atemwege

    • Beatmung ohne Hilfsmittel und mit Maske, Beatmungsbeutel und Sauerstoffquelle

    • Herzdruckmassage

    • Herstellen eines intravenösen Zugangs

    • Indikation und Dosierung der wichtigsten Notfallmedikamente.

  • Wenn Ihre notfallmedizinische Kompetenz Lücken aufweist, sollten Sie durch Lesen einschlägiger Literatur (z.B. dieser Serie) oder durch die Teilnahme an einem praxisorientierten Kurs Ihre Kenntnisse und Fertigkeiten auffrischen.

  • Sorgen Sie dafür, dass auch Ihre Mitarbeiter die Grundlagen der lebensrettenden Sofortmaßnahmen in Theorie und Praxis beherrschen.

  • Am effektivsten können Sie sich und Ihre Praxismannschaft auf Notfälle vorbereiten, wenn Sie erfahrene Notfallmediziner direkt in Ihre Praxis kommen lassen und sich mittels moderner notfallmedizinischer Simulationstechniken in Theorie und Praxis ausbilden lassen. Im Rahmen eines solchen Inhouse-Seminars ist es möglich, individuelle Notfallkonzepte und Checklisten für Ihre Praxis zu erstellen, welche auf Ihren Ausbildungsstand, Ihre Praxisausstattung und Ihre Mitarbeiter abgestimmt ist (Anmerkung: Halbtägige Seminare hierzu werden beispielsweise vom IMS-Institut für Medizinisches Sicherheits- und Notfallmanagement e. V. angeboten. Im Anschluss an solche Seminare sollte sinnvollerweise jährlich ein ein- bis zweistündiges Refresher-Training durchgeführt werden.).

Ausstattung

  • Überprüfen Sie Ihre Notfallausstattung auf Vollständigkeit. Ihr Praxis-Notfallkoffer sollte nur Dinge enthalten mit denen Sie umgehen können. Alles andere erschwert die schnelle Orientierung und erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit. Achten Sie auf Übersichtlichkeit und Ordnung.

  • Ihr Praxis-Notfallkoffer sollte zumindest folgende absolute Minimalausstattung umfassen:

    • Absauggerät

    • Beatmungsbeutel mit Reservoir

    • Atemmasken (3 verschiedene Größen)

    • Sauerstoffflasche mit Reduzierventil und Verbindungsschlauch zum Beatmungsbeutel

    • Oropharyngealtuben (Guedeltuben), mindesten 3 verschiedenen Größen

    • Nasopharyngealtuben (Wendeltuben), mindestens 3 verschiedene Größen

    • Stethoskop

    • Blutdruckmanschette

    • Stauschlauch

    • Blutzucker-Messstreifen

    • Sauerstoff-Nasensonde

    • Absaugkatheter

    • Spritzen

    • Kanülen und Verweilkanülen

    • Infusionsbestecke

    • Handschuhe

    • Pflasterrolle

    • Fixierungsmaterial

    • Desinfektionsspray

    • Infusionslösungen (500 ml 0,9 %ige Natriumchloridlösung, 500 ml Hydroxyethylstärke, 500 ml 5 %ige Glukoselösung)

    • Ampullen mit 10 ml NaCl zum Verdünnen

    • Adalat® Kapseln

    • Alupent®

    • Akrinor

    • Atropin

    • Berotec®-Spray

    • Glukoselösung 40 % (20 ml)

    • Euphyllin®

    • Fenistil®

    • Lasix®

    • Morphin

    • Nitrolingual®-Spray

    • Solu-Decortin®

    • Suprarenin®

    • Tagamet®

    • Valium®

Allgemeine Verhaltensregeln und Leitsätze für den Notfall

  1. Versuchen Sie ruhig zu bleiben.

  2. Handeln Sie konzentriert und schnell, aber nicht hektisch.

  3. Ihre Grundeinstellung sollte sein: ich bin nicht Schuld am Notfall, ich und mein Team können kompetente Hilfe leisten, wir sind gut vorbereitet.

  4. Schaffen Sie eine offene und produktive Kommunikations- und Teamatmosphäre. Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter dazu, Fragen zu stellen und Vorschläge zu machen.

  5. Erteilen Sie an Ihre Mitarbeiter klare und deutliche Anweisungen, sprechen Sie dabei die Mitarbeiter mit Namen an, um Missverständnisse zu vermeiden.

  6. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter stets über Ihre Einschätzung der Situation und Ihre weiteren Absichten. Erklären Sie ein Ereignis lieber zu früh als zu spät zum Notfall.

  7. Delegieren Sie Tätigkeiten, wenn immer dies möglich ist.

  8. Bewahren Sie den Überblick. Versuchen Sie einen Blick auf Ihre Notfallcheckliste zu werfen oder beauftragen Sie einen freien Mitarbeiter, diese laut durchzugehen.

  9. Führen Sie keine Maßnahmen durch, die Sie nicht beherrschen und die dem Patienten Schaden könnten.

  10. . Setzen Sie Prioritäten: Vorrang hat immer die Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen. Sichern Sie in allen Situationen die Sauerstoffversorgung des Gehirns.

Training und Organisation

  • Sorgen Sie dafür, dass alle Mitglieder Ihres Praxisteams wissen:

    • Mit welcher Telefonnummer der Notarzt alarmiert wird

    • Wie man den Notfall richtig meldet

    • Wo sich der Notfallkoffer befindet

    • Was sich im Koffer befindet

    • Wozu und wie die einzelnen Ausrüstungsgegenstände benutzt werden

    • Wie man das Haupt- und das Dosierventil der Sauerstoffflasche bedient und eine Verbindung zum Beatmungsbeutel herstellt

    • Wie man eine Infusion herrichtet und Medikamente aufzieht

    • Wie man den Absaugschlauch an die Absaugpumpe anschließt und die Pumpe bedient.

  • Bringen Sie in der Nähe Ihres Praxistelefons ein Hinweisschild an, welches Ihre Mitarbeiter bei der Meldung eines Notrufes unterstützt und auf folgende wichtigen Punkte eingeht:

    • Notrufnummer

    • Wer meldet?

    • Wo ist der Notfallort?

    • Praxis-Telefonnummer

    • Notfalldiagnose

    • Welches Rettungsmittel wird benötigt?

    • Warten auf Rückfragen

  • Sorgen Sie dafür, dass einprägsame Notfall-Checklisten, Algorithmen und eine Liste der wichtigsten Medikamente mit Angaben zu Indikation, Kontraindikation und Dosierung jederzeit an Ihrem Arbeitsplatz griffbereit sind. Diese Hilfen dienen als Gedächtnisstützen und ermöglichen Ihnen im Notfall eine schnelle Orientierung. Sie haben eine beruhigende Wirkung, indem sie Ihnen die Angst nehmen, etwas falsch zu machen oder zu vergessen.

  • Führen Sie regelmäßig Notfallübungen mit dem gesamten Praxisteam durch. Simulieren Sie dabei realitätsnah ohne Vorankündigung konkrete Notfallsituationen, beispielsweise dadurch, dass Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter einen Bewusstlosen oder einen Patienten mit Kreislaufstillstand spielt. Setzen Sie dabei auch ihre Notfallausstattung ein. Achten Sie auf gute Zusammenarbeit und Kommunikation im Team. Führen Sie nach der Übung eine Besprechung mit Ihren Mitarbeitern durch.

  • Beauftragen Sie schriftlich einen Ihrer Mitarbeiter damit, dass er halbjährlich:

    • den Inhalt des Notfallkoffers auf Vollständigkeit überprüft

    • die Ablaufdaten der Medikamente und Sterilgüter kontrolliert

    • den Inhalt der Sauerstoffflasche überprüft

    • die Funktion des Absauggerätes überprüft

    • die Funktion das Lämpchen am Laryngoskop überprüft.

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