Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55 - P_085
DOI: 10.1055/s-2005-863521

Psychoedukation via Internet-Therapietagebuch

H Mück 1, M Mück-Weymann 2
  • 1Praxis für Psychotherapie, Köln
  • 2Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“, TU Dresden

Unkenntnis und Vorurteile über Abläufe von Psychotherapien sind noch immer verbreitet. Das Projekt „Online-Therapietagebuch“ untersuchte in Form einer Einzelfallstudie, inwieweit es möglich ist, anonymisierte „Life-Einblicke“ in eine laufende und insgesamt 15-stündige ambulante selbst finanzierte Psychotherapie zu geben (Diagnose: Dysthymie, bereits zwei Vortherapien). Nach jeder Sitzung verfasste der Patient einen sich darauf beziehenden „Tagebucheintrag“, der noch vor der Folgesitzung unzensiert auf der Homepage des Therapeuten publiziert wurde (www.dr-mueck.de). Ab der 5. Sitzung kommentierte der Therapeut einzelne Aussagen, wobei sich die Ausführungen primär an den Patienten, sekundär an ein Psychotherapie-unerfahrenes anonymes Publikum wandten. Mit Hilfe der Intervention besserte sich nicht nur die Dysthymie des Patienten, der Therapeut erhielt auch positive Rückmeldungen von dritter Seite. Die Einzelfallstudie kommt zu dem Ergebnis, dass das beschriebene Vorgehen praktikabel ist, den therapeutischen Prozess fördern kann (insbesondere dessen Reflexion), hilfreiche Impulse außerhalb der Sitzungszeiten setzt, die Beziehung zwischen Therapeut und Patient fokussiert und im Hinblick auf Selbstwert- und Schamprobleme wirksame Veränderungsanstöße gibt. Das gewählte Vorgehen verleiht den publizierten Texten Authentizität und unterscheidet sie von eher „lexikalisch“ anmutenden Psychoedukationsangeboten. Therapieunerfahrene Homepagebesucher können sich so ein lebendigeres Bild von Psychotherapie machen. Da die gewählte stark frequentiert ist (monatlich 50000 bis 60000 Besucher mit 130000 bis 140000 Seitenabrufen), erscheint eine ausreichende psychoedukative Breitenwirkung gewährleistet. Ethische und methodische Aspekte des Pilotprojektes werden diskutiert.