Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55 - S_091
DOI: 10.1055/s-2005-863437

Trauma, emotionale Verarbeitung und Körpersemantik am Beispiel von Koma- und Wachkoma-Patienten – Zur Bedeutung unbewusster emotionaler Verarbeitung und nonverbaler Kommunikation

A Zieger 1
  • 1Ev. Krankenhaus Oldenburg, Station für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte (Frührehabilitation), Oldenburg

Neueren Untersuchungen zufolge können posttraumatische Belastungsreaktionen auch nach schwerer Hirnschädigung mit Komazuständen auftreten. Bei „Bewusstlosen“ wird das Bedrohungspotenzial des Traumas auf implizitem Wege durch Amygdala-assoziierte Vorgänge emotional bewertet und in das Körpergedächtnis eingeschrieben. Studien zum Coma imagery bei Koma-Erfahrenen deuten darauf hin, dass in der Körperhaltung das Trauma symbolisiert wird („Körpersemantik“), was Rückschlüsse auf die Art der Gewalteinwirkung und einen adäquaten Umgang mit Koma-Patienten in der Behandlung und Rehabilitation zulässt. Aus körpersemantischer Sicht sollte daher die posttraumatische Symptomatik auch biographisch-individueller Körperausdruck und als emotionale Selbstaktualisierung entschlüsselt werden. Diese Dechiffrierung und Rekonstruktion sollte Bestandteil der Arbeit eines supervidierten, interdisziplinären Teams sein. Anhand einer Studie mit 53 Koma-Patienten, die von 1997–2004 auf unserer Frührehastation behandelt wurden, kann gezeigt werden, dass etwa ein Drittel im Initialstadium eines schweres Stress-Syndrom mit hypersympathikotoner Instabilität aufweisen. Unter sensorische Regulation und einem körpernahem Dialogaufbau, der individuelle Vorlieben, minimale Antworten und vertaute Angehörige mit ein bezieht, lässt sich nach monatelanger Behandlung bei 36 Prozent ein Ja/Nein-Code, bei 34 Prozent eine nonverbal-emotionale und bei 20,5 Prozent eine wachbewusste verbale Verständigung aufbauen. Als früheste emotionale Reaktion sind bei 40 Prozent Angst oder Unmut und später auch Lächeln zu beobachten. Obwohl nahezu 80 Prozent von den erreichten responsiven, kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten deutlich profitieren, bleiben 75 Prozent auf Dauer körperlich schwerst pflegeabhängig. Trotz dieser „Dissoziation“ bedeuten die erreichten Fähigkeiten für die Betroffenen wie auch die Angehörigen und das Behandlungsteam eine große Entlastung und soziale Perspektive.