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DOI: 10.1055/s-2005-863396
Das seelische Trauma–Betrachtung aus dem Blickwinkel eines evolutionsbiologisch fundierten Modells des psychischen Apparates
Das Modell von Edelman verdient Beachtung, weil es jenseits von Biochemie, Zellbiologie oder Neurophysiologie in einer „ganzheitlichen biologischen Sicht“, die aber nicht auf der metaphorischen Ebene verharrt, nach dem Geist fragt. Über Aufgabenteilung, Koppelung sowie Auswahl und Förderung des Geeignetsten fand die Evolution innerhalb des biologischen Rahmens beeindruckende Lösungen. Das Gewicht von Wertungsfähigkeit für die Funktion des psychischen Apparates wird sichtbar und belegt die grundlegende Bedeutung des Emotionssystems. Bewusstsein organisiert sich als „dynamisches Kerngefüge“ und ist in seiner kortikalen Repräsentanz erlebbar. Die Scheidung des Bewusstseinsgeschehens in ein phylogenetisch älteres primäres Bewusstsein (p.B.) und ein dieses erweiterndes, über das Sprachvermögen sich entwickelndes Bewusstsein höherer Ordnung (B.h.O.) ist folgenreich. Der differenten Organisationsmodi wegen hat das p.B. impliziten Gedächtniszugang, das B.h.O. erinnert explizit. Korrigierende emotionale Erfahrung ist für Wesen auf der Stufe des p.B. an eine szenische Aktivierung seinerzeitigen Geschehens gebunden. Das B.h.O. erreicht diese durch Inszenierung im virtuellen Raum der Erzählung (des Nachdenkens) und einem hier möglichen „Blick eines Außenseiters“ in gut steuerbarer Emotionalität. Klinische Erfahrung und Ergebnisse bildgebender Verfahren (Intrusionen zeigen eine Hemmung der linken inferioren Frontalareale) lassen vermuten, dass die starke Angst im Trauma die Bewusstseinsorganisation in den Modus des p.B. zwingt. Dessen Gedächtnisspuren sind implizit, Wiederannäherung weckt so ein Aktivitätsmuster, das zu einer Neuauflage des Grauens bei wiederum gleichzeitiger Blockierung des B.h.O. führt. Die Falle schnappt zu! Das Konstrukt eines „Fallenmechanismus“ ordnet das metapsychologisch schwer fassbare Bild traumatischer Störungen vielversprechend.
Bisherige Erfahrungen zeigen, dass Überlegungen, die auf dem evolutionsbiologischen Hirnfunktionsmodell von Edelman fußen, der relativ wenig verbreiteten Kenntnis seiner Ansichten und deren wohl überraschenden aber auch ungewohnten Blickwinkel wegen, einer etwas ausführlicheren Darlegung der Grundzüge seiner Denkschritte bedürfen. Wir erleben unser Bewusstsein. Das geht mit einem Gewissheitsgefühl einher, welches zuweilen das Metaphorische, worin wir ihm Gestalt geben, unbedacht auch schon als zutreffende Beschreibung zu Grunde liegender biologischer Gegebenheiten nimmt. Auch deswegen kranken Entwürfe zum psychischen Apparat (auch Neurobiologen sind davor nicht gefeit!) oft an Kategorienfehlern, der irrtümlichen Zuweisung von Eigenschaften an eine Sache oder ein Ding, die diese oder dieses auf Grund ihrer oder seiner Grundbeschaffenheit gar nicht besitzen kann. Für eine globale Hirntheorie, aus der die Prinzipien ersichtlich werden, die das Wirken der mannigfaltigen neuronalen Netze betimmen, benötigen wir Modelle, die streng im Rahmen (evolutions-) biologischer Möglichkeiten bleiben. Es ist faszinierend zu ahnen, welche Lösungsmöglichkeiten hier die Evolution fand.
Key words
Emotionspsychologie - Evolutionsbiologie - Fallenmechanismus - Metapsychologie - Psychobiologie - Trauma - impliziter und expliziter Gedächtniszugang - korrigierende emotionale Erfahrung