Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55 - S_041
DOI: 10.1055/s-2005-863387

Zur Polyvalenz bulimischer Symptombildung: Reanalyse des 'Impulsmodells' und des 'Diätmodells' der Bulimie mit Daten der multizentrischen Studie

B Jäger 1, P Malewski 1, TR-EAT 2, F Lamprecht 1
  • 1Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
  • 2Forschungsstelle für Psychotherapie, Stuttgart

Von der Vielzahl ätiologischer Vorstellungen zur Bulimia nervosa haben das verhaltensmedizinische Modell (‘Diätmodell’) und das ich-psychologische Modell mangelnder Impulskontrolle den vergleichsweise größten Einfluss auf Behandlungsmodelle. In einer früheren Arbeit (Jäger 1995) konnte gezeigt werden, dass beide Modelle nicht als universale Erklärungsmodelle miteinander konkurrieren, sondern jeweils für Subgruppen besondere Gültigkeit zeigen. Mit den Daten der Multizentrischen Studie (TR-EAT) bestand die Möglichkeit der Reanalyse des zuvor nur mit kleinen Stichproben durchgeführten Modellvergleichs. Methodik: N=631 bulimische Patientinnen gingen in die Analysen ein, die mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen durchgeführt wurden. Bei sonst weitgehend identischen Variablen musste aber auf eine andere Variable zur Gruppentrennung (Krankheitsdauer) zurück gegriffen werden. Ergebnisse: Das ‘Impulsmodell’ erbrachte auch mit dieser neuen, stark vergrößerten Stichprobe signifikante und hohe Strukturkoeffizienten (γ=0,20–0,60), die Modellanpassung war–ohne jegliche Modifikation des Modells–noch hinreichend. Demgegenüber zeigte das ‘Diätmodell’ niedrige, unbedeutsame Zusammenhänge auf den postulierten Pfaden, wobei aber auch in diesem Fall die 'indizierte Gruppe' die höheren Parameter und den besseren Modellfit aufwies. Diskussion: Die untersuchten Modelle sind in operationalisierter Form bei Bulimia nervosa auf klinische Daten anwendbar. Die Prüfung an einer erheblich vergrößerten Stichprobe besteht das ‘Impulsmodell’ sehr gut, beim ‘Diätmodell’ werden methodische Probleme deutlich. Der Modellfit und das Erklärungspotential des ‘Diätmodells’ konnte durch verschiedene Maßnahmen erheblich verbessert werden, wozu insbesondere die Homogenisierung der Stichprobe gehörte. Durch diese Maßnahmen verliert dieser Untersuchungsteil aber den Charakter eines Entscheidungsexperiments zugunsten einer erweiterten Exploration der Daten.