Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55 - S_036
DOI: 10.1055/s-2005-863138

Bedeutung früher Stresserfahrungen und kompensatorischer Schutzfaktoren bei Chronic Fatigue Syndrom (CFS) und Fibromyalgie*

S Hütter 1, G Greif-Higer 1, J Hardt 1, R Nickel 1, R Schwab 1, UT Egle 2
  • 1Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinik für Neurologie, Schmerzsprechstunde der Klinik für Anästhesiologie, Interdisziplinäres Schmerztherapie-Zentrum (IST) des Universitätsklinikums Mainz
  • 2Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Mainz

Fragestellung: In den letzten Jahren zeigten eine Reihe von Studien eine erhöhte Vulnerabilität für eine Fibromyalgie (FM) und deren Ausprägung als Langzeitfolge früher Stresseinwirkungen in der Kindheit. Systematische Studien zur Bedeutung früher Stresserfahrungen für CFS fehlen bisher ebenso wie ein diesbezüglicher Vergleich zwischen diesen beiden diagnostisch überlappenden funktionellen Syndromen.

Methode: Mit Hilfe eines strukturierten biographischen Interviews (MSBA) wurden bei N=240 Patienten (jeweils n=80 Patienten mit CFS und FM) frühe Stresserfahrungen und erstmals auch kompensatorische Schutzfaktoren retrospektiv erhoben. Als Vergleichsgruppe diente eine nach Alter und Geschlecht parallelisierte Patientengruppe aus Allgemeinpraxen (VG, n=80).

Ergebnisse: 40% der FM-Patienten weisen fünf oder mehr frühe Stressfaktoren auf, während dies in VG nur 17,5% sind. Im Vordergrund steht dabei eine schlechte emotionale Beziehung zu beiden Eltern, körperliche Misshandlung und sexueller Missbrauch sowie psychische Erkrankungen und der Tod eines Elternteils. Wirkten drei und mehr frühe Stressfaktoren ein, so führte dies zu signifikant häufigeren und länger dauernden Kliniksaufenthalten. Bei CFS-Patienten spielte hingegen eine chronische körperliche Erkrankung eines Elternteils oder auch bei den Betroffenen selbst in der Kindheit signifikant häufiger eine Rolle. Auch die finanzielle Situation war bei FM-Patienten in der Kindheit signifikant häufiger beeinträchtigt; bei CFS-Patienten bestand diesbezüglich kein Unterschied zur Vergleichsgruppe. Je mehr frühe Stressfaktoren einwirkten, desto weniger standen bei FM wie CFS kompensatorische Schutzfaktoren zur Verfügung.

Diskussion: Es handelt sich um die weltweit erste klinische Studie, bei der neben frühen Stressfaktoren gleichzeitig auch kompensatorische Schutzfaktoren erfasst wurden. Die Arbeit liefert einen wichtigen Beitrag zu einer Differenzierung von pathogenetischen Subgruppen bei diesen beiden Syndromen.

*gefördert von der DFG (Eg 125/1), der Innovationsstiftung Rheinland-Pfalz (Hardt & Egle 2000–02) sowie dem BMG (Nix & Egle 1996–99)